Armband aus geflochtenem braunem Haar und Kamee mit Allegorie der Nacht

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Leicht dehnbares Band aus fünf ineinander verdrehten Hohlgeflechten, wovon die zwei breiten geschlossen, die drei schmalen durchbrochen gefertigt sind. Die Enden in kastenförmigen geschweiften Fassungen, diese je mit einer zentralen Blume auf Wiese und einer Rahmung aus Perlfries und Voluten versehen. Die Fassungen mit je zwei festen Ösen, die mit jenen des mittigen ovalen Medaillons verbunden sind. Dieses besteht aus einer in Gold gefassten Kamee aus erhabenem weissem Relief auf braunem Grund. Frauenkopf im Profil nach rechts mit Schleier und Haarband aus Blüten neben Mondsichel und Stern. Unter dem Kinn eine flügelspreizende Eule, die zwei Mohnhalme mit geschlossenen Kapseln in ihren Fängen hält. Rahmung aus Perlfries. Schloss mit Schnäpper in seitlicher Medaillonwandung.

Das Armband bildet ein Pendant zur Brosche T 9495.
Das Motiv dieser Kamee entstand womöglich in Anlehnung an ein Werk des dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen (1770–1844). Dieser schuf 1815 zwei runde Gipsmodelle «Der Tag» und «Die Nacht», die beide in der Kunst und im Kunsthandwerk vielfach kopiert wurden. Für die Annahme, dass diese Werke vorliegende Darstellung inspiriert haben könnten, spricht das Pendant des Armbandes, eine aus demselben Material bestehende Brosche, auf welcher die Allegorie des Tages abgebildet ist. Vorliegende Kamee zeigt neben der Allegorie der Nacht eine Eule mit Mohn. Beides sind Symbole des Todes, weshalb es sich beim vorliegenden Schnitzwerk auch um eine Personifikation des Todes handeln könnte. Auch das Bild von Thorvaldsen zeigt eine Eule.

Dem menschlichen Kopfhaar wird seit der Antike magische Bedeutung zugemessen. Als Ausdruck von Vitalität verkörpert es die Lebenskraft und die Seele der Person, die es trägt. Eine Haarsträhne oder eine Locke war daher ein wertvolles einzigartiges persönliches Andenken an eine geliebte Person und stand stellvertretend für diesen nicht anwesenden Menschen. Daher eignete sich menschliches Haupthaar ausgezeichnet für die Herstellung von kunstvoll gestaltetem Schmuck wie Ohrhänger, Hals- und Uhrenketten, Armbänder und Vorstecknadeln. Solche aus Haaren angefertigten persönlichen Accessoires wurden erstmals im Barock angefertigt, als Massenphänomen erlebten dieses Stücke ihre Blütezeit im Biedermeier im 19. Jh., als in den skandinavischen Ländern, im Deutschen Reich, in der Habsburger Monarchie und der Eidgenossenschaft ein eigentlicher Boom nach dem zierlichen künstlerisch und kunsthandwerklich exklusiven Schmuck ausbrach. In der Schweiz war es insbesondere die Ostschweiz, wo die Kunst aus geflochtenem, gewobenem und geklöppeltem Haar emotional aufgeladene Erinnerungsstücke an verstorbene und lebenden Personen herzustellen, gepflegt wurde. Das zu Lebzeiten bei Seite gelegte Haar wurde aufgrund des Todes einer Person oder anlässlich eines freudigen Ereignisses wie einer Verlobung einem Fachmann übergeben, der daraus das gewünschte Exemplar anfertigte. Frauen arbeiteten zwar zahlreich in diesem florierenden Kunsthandwerk mit, allerdings in der Regel im Hintergrund als Angestellte. In auf Haarschmuck spezialisierten Schmuckgeschäften konnten die Kunden und Kundinnen anhand von Mustertafeln die in der Regel aus Walzgold angefertigten metallenen Teile und die Verarbeitungsart ihrer Haare auswählen. Bekannte Grössen auf diesem Markt waren Johann Jakob Rohner, der in Herisau ein Geschäft betrieb, sowie der Winterthurer Heinrich Etter. Zwar handelt es sich, was die Werkstoffe Haar und Walzgolddoublé (eine Goldlegierungsauflage auf unedlem Metall wie Kupfer) anbelangt, um günstigen Modeschmuck, der jedoch ebenso von den wohlhabenden Schichten getragen wurde.
um 1860
H. 7, B. 10 cm, Kamee H. 4, B. 3
Zwei verschiedene Hohlgeflechte; Fassung aus Kupfer, galvanisch vergoldet; Achat, geschnitzt
T 9494
Gisela Zick, Gedenke mein. Freundschafts- und Memorialschmuck 1770–1870, Dortmund 1980.

Johannes Schläpfer, Schmuck aus Haar, Lege zwei über drei, zwei über eins, drei über vier, Schwellbrunn 2021.

Sanna Urban, Die Morgenröte der Aufklärung, Bertel Thorvadsens «Der Tag» als Allegorie des Lichts. https://www.warburg-haus.de/tagebuch/bildkarte-des-monats-juli-2/, aufgerufen am 02.01.2025.
Schlagwörter: Hauswirtschaft, Persönliche Accessoires, Schmuck, Kunsthandwerk, Allegorie, Symbol, Tier