Brustkreuz (Pektorale) eines Domherrn des Churer Kapitels

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 Vorderseite  Rückseite
 Vorderseite

Vorderseite

Kreuzform in geschwungener Gestaltung mit Rocaillen und Muscheln sowie hochovalem Medaillon im Zentrum auf Vorder- wie Rückseite.
Das Avers-Medaillon zeigt die stehende Maria Immaculata (Maria, die unbefleckt Empfangene) auf der Weltkugel, die Siegerin über die Erbsünden. Mit ihrem linken Fuss zerquetscht sie die auf einer Mondsichel liegende Schlange, Symbol des Teufels bzw. der Erbsünde. In der linken Hand hält Maria eine Lilie, als Zeichen ihrer Reinheit. Unter ihr liegt ein Wolkenmeer, was darauf hinweist, dass die Gottesmutter in den Himmel aufgenommen wird. Die Darstellung korrespondiert mit dem Churer Hauptpatrozinium Mariä Himmelfahrt.
Auf dem Revers ist der hl. Luzius, ein Schutzpatron der Churer Kathedralkirche, abgebildet. Der Heilige trägt Ritterrüstung und Krone, was ihn als König auszeichnet, da er gemäss der Legende König von Britannien gewesen sein soll, bevor er in Graubünden missionierte. Der Palmzweig in seiner rechten Hand steht für seinen Märtyrertod durch Steinigung. Der Krummstab und die Mitra (Kopfbedeckung der Bischöfe sowie von bestimmten Äbten mit Rechts- und Verwaltungshoheit) weisen auf eine weitere Legende hin, wonach Luzius der erste Bischof von Chur gewesen sein soll, was jedoch historisch nicht nachgewiesen werden kann.
Am unteren Rand des Kreuzes befindet sich eine kleine horizontal gerichtete Öse, woran vermutlich ein gefasster Edelstein oder eine Perle befestigt war. Der vertikal ausgerichtete Ring oben war mit einem breiten textilen Band verbunden, damit das Kreuz auf Höhe der Brust des Domherrn zu liegen kam.
Die 34 Gramm schwere, 19 karätige Amtsinsignie trug ein Mitglied des Churer Domkapitels. Neben der juristischen und administrativen Unterstützung des Churer Bischofs, oblag den Domherren die Pflege des Chorgebets und des Gottesdienstes, die der Kapitular in vorgeschriebener Chortracht und ab 1739 mit einem Schmuckstück in Form des Brustkreuzes ausübte. Die Aufnahme eines Domherrn in die Kapitelkörperschaft erfolgte mit der Aushändigung dieses Kapitularzeichens, wodurch das neue Mitglied den kanonischen Status mit allen Rechten, Pflichten und Privilegien erlangte. Ende des 17. Jhs. wurde es für Domkapitulare üblich, Kapitelkreuze zu tragen. Das Churer Kapitel, das 940 erstmals bezeugt ist, beschloss 1737, solche Kreuze beim Kreuzlinger Goldschmied Christian Sax zu bestellen. Der aus Danzig stammende Sax heiratete in Schaffhausen in die Goldschmiedefamilie Ott ein und war in Kreuzlingen, vermutlich dank den Kontakten seines einflussreichen Schwiegervaters, ein erfolgreicher Goldarbeiter, der für das Kloster Kreuzlingen Schmiedearbeiten ausführte, die er aber nicht mit seiner Meistermarke punzierte. Auch das Churer Exemplar weist keine Punze auf.
Die Anzahl der Domherren schwankte im Verlauf der Jahrhunderte stark, wobei ab dem 17. Jh. sechs residierende und 18 nicht residierende Geistliche den Kapiteldienst versahen. Deshalb fertigte Goldschmied Sax vermutlich 24 solche Kreuze an, wovon heute noch zwei erhalten sind. Die Insignien gehörten zwar dem Kapitel und kamen nach dem Tod des Domherrn zum Eigentümer zurück. Trotzdem gingen die Insignien mit den Jahren verloren, wurden womöglich sogar dem Grab des Domherrn beigegeben. Bis 1908 war dieses Kreuz in Chur in Gebrauch und wurde in der Folge von einem Brustkreuz in Gestaltung des Jugendstils aus vergoldetem Silber ersetzt.
Sax, Christian (18. Jh.), Goldschmied in Kreuzlingen
um 1739
H. 5.5, B. 4.5 cm
Gold, aus zwei verlöteten Teilen, gegossen?, getrieben, punziert
T 38693
Michael Autengruber, Die Kapitelkreuze des Domkapitels der Kathedrale von Chur, in: Orden und Ehrenzeichen, 25. Jg., Nr. 148, Dezember 2023, S. 333–338.
Schlagwörter: Gold, Kunsthandwerk, Religion katholisch, Kirche, Symbol