Dokument: Verkaufsausschreibung des Klarissenklosters Paradies bei Schlatt

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Gesamtansicht von Südwesten des ehemaligen Klarissenklosters Paradies mit Dampfschiff auf dem Rhein, im Hintergrund Büsingen in Baden-Württemberg (DEU), rechts über dem Kirchturm des Klosters die Gemeinde Dörflingen (SH). Signatur unter der Vedute rechts «Lith. v. Weber, Frauenfeld».

Dreiseitige Offerte zur Immobilie mit Informationen aller Gebäude, Gerätschaften und Ländereien.
«Es wird andurch die sämmtliche Besitzung des ehemaligen Klosters zu Paradies im Canton Thurgau in der Schweiz aus freier Hand zum Verkaufe ausgeboten.

Die Realitäten, welche zu derselben gehören, bestehen:
A. An Gebäuden.

1. Das massiv von Stein erbaute Klostergebäude, ohne die Kirche, dasselbe enthält 57 kleinere u. grössere Zimmer, wovon 30 heizbar, 5 Küchen, 2 gewölbte und ein anderer grosser Keller, mit Einfahrten, worin gegen 10,000 Eimer Getränke Platz finden, mit oder ohne Fassung, eine Mezge, eine Pfisterei, eine Werkstätte für Holzarbeiter, und eine Weintorkel sa?mt Z?behörde. A?f dem ganzen Gebä?de befinden sich große Fruchtböden. Dabei sind weiter angebaut: Stall?ngen, Waschhaus und Holzschoppen.
2. Eine in gutem Zustande sich befindende gangbare Mehlmühle, mit 3 Mahlgängen und einem Gerbegang nebst Wohn?ng dabei.
3. Die Beimühle mit Angebäude, in welch letzterm dato ein Stahl
Hammerwerk betrieben wird.
4. Waschhaus und Bestallungen.
5. Die neue Sägmühle worauf ein Fruchtboden ist.
6. Eine Hanfreibe.
7. Ein Oeconomie-Gebäude.
8. Die doppelte Oelmühle mit Wohnung des Oelers und besonderen
Oelkuchenbehälter.
9. Die Ziegelhütte sammt Zubehörde, sehr geräumig und gangbar, in welcher jährlich 9–10 mal gebrannt wird.
10. Das Gasthaus zum Kreuz mit einem Saal und 12 Zimmern.
11. Stallungen zu demselben.
12. Die Sennerei.
13. Ein Wohnhaus mit gewölbtem Keller für den Schiffahrts-Pächter.
14. Die Hufschmiedte sammt Wohnung an der Mühle angebaut.
15. Eine Scheune u. Stallungen.
16. Ein Waschhaus.
17. Das Brennhäuschen.
18. Ein großes Bauernhaus worin Platz für das sämmtliche Gesinde und weitere 4 Haushaltungen.
19. Das Försterhaus am Thor.
20. Doppelte Viehstallungen sammt Heuböden, Schuppen und vielen Schweinställen.
21. Fünf Stallungen mit Heuböden, angebauten Schuppen und Feuerspritzenbehälter.
22. Eine massiv erbaute dreifache Fruchtscheune.
23. Eine gleiche " doppelte dito.
24. Eine sehr geräumige Remise worauf ein Holzbehälter.
Diese sämmtlichen Gebäulichkeiten stehen mit herrlichen Küchengärten innerhalb den Ringma?ern des ehemaligen Klosters, und sind mit überflüssig vorzüglich gutem Quellwasser u. laufenden Brunnen versehen.
25. Das doppelte Wohnha?s sa?mt Scheune Bestall?ng u. Schuppen zur Bleiche zu Kundelfingen. Dabei:
26. Das Waschha?s sa?mt angeba?ten Stall?ngen und Remise.
27. Die Walke mit Wassergetrieb.
28. Das Tröckne-Gebäude.

B. An Gütern.
Juch. Vrlg. Art. Juch. Vrlg. Art.
1. Gartenland 12.
2. Rebland 6. 1
3. Felder 349. 2 0,5
4. Wies und Waidland 205 3. 0,9.
5. Fischerweiher und Riet 34 1 42. 608 0. 1,6.

c. An Waldung

1. Im Kohlfürst 242. 2 1,6
2. " Schaaren 360 3,2.
3. " Rosshölzli ed. 18. 2 0,3.
4. " Egelsee 33. 1 2,0 654 3. 0,1.
Die Juchart zu 40,000 neue Schweiz. Zusammen 1262 3. 1,7.

Diese ganze, ihrem Namen entsprechende Besitzung ist von dem
Grossherzogth?m Baden d?rch den Rhein ?nd dem Schweizerkantone Zürich begrenzt. Sie wird d?rch zwei Land- und Poststrassen von Schaffha?sen nach Konstanz u. St. Gallen, und von Fra?enfeld nach Schaffha?sen d?rchschnitten, und liegt 1/2 Stunde von Schaffhausen wie von der Stadt Diessenhofen sehr
anmuthig am Rhein, durch den die Comunication sehr erleichtert wird; auch ist eine eigne Pfarrei daselbst sondirt.
Das vortheilhaft gelegene, von der Schwarzach durchflossene Klostergebäude, eignet sich sowohl für ein industrielles Etablissement, als auch für andere Nutzungen u. Vergnügen.
Die sämmtlichen 6 Wasserwerke erhalten noch besondern Werth dadurch, dass sie weder bei Tröckne noch Kälte Mangel an Wasser leiden, daher öfters auch die benachbarten Müller selbst sich hier aushelfen lassen müssen.
Bezüglich auf die Ziegelhütte verdient bemerkt zu werden, dass der benöthigte Stoff in besster Qualität ganz in der Nähe der Hütte selbst, auf eignem Boden gegraben wird.
Alle Gewerbe erfreuen sich im Allgemeinen, nebst eignem Gebrauche, einer guten Kundsame.
Mit Ausnahme ca 40 Juchart Feld und Wiesen zum Bleichsgewerb in Kundelfingen gehörend, liegen laut Plan alle diese Güter u.
Waldungen arrondiert an und beieinander, sie sind gehörig bewirthschaftet; die Erstern zum Theil auch mit schönen Obstbäumen besetzt; alles ist Grundzins und Zehnten frei, und liegt zum größten Theile eben. Die Reben liefern vorzüglichen Wein, und die Felder sind so ergiebig, dass von einem Theil dato pr Juchart fl 20 a. 24. Pachtzins bezahlt wird.
Bei Kundelfingen 1/4 Stunde vom Kloster entspringt auf eignem
Boden der jederzeit sehr wasser- und forellenreiche Mühlbach, die Schwarzach genannt, der die dato in dieser Besitzung vorhandenen 8 Wasserräder betreibt, u. Fall und Kraft zu beliebig neuen Einrichtungen so wie der vorbeifließende Rheinstrom selbst darbietet, wozu die Landesverfassung dem jeweiligen Besitzer oder Beständer, volle Befugniss gewährleistet.
Die aufs schönste gelegenen Waldungen sind mit sehr starken Eichen, Buchen, und Nadelhölzern, so wie mit gutem Brennholze wohl bestanden, forstmässig geschont, und bieten durch ihren üppigen Wuchs einen nicht zu berechnenden Holzwerth, sowohl zum Verkaufe in der Gegend, als namentlich auch für allfälligen Export nach Frankreich und Holland, vermittelst dem Rhein dar, auf dem täglich Segel- oder Dampfschiffe, so wie Holzflösse vorbeifahren.
Alle weitern Aufschlüsse und Pläne über diese ausgebotene
Besitzung ertheilt auf Verlangen
Der Mit-Eigenthümer:
Melchior Wagelin in Diessenhofen.»
Das im 13. Jh. gegründete Klarissenkloster Paradies in der Gemeinde Schlatt an der Grenze zum Kanton Schaffhausen wurde 1836 aufgehoben. Die Thurgauer Regierung übergab die Kirche 1838 der katholischen Kirchgemeinde Paradies, die Liegenschaften und Ländereien gelangten ein Jahr früher zur Versteigerung. Die erste Gant fand am 4. April 1837 statt, ohne dass ein Käufer gefunden werden konnte. Das gegen 1300 Jucharte (ca. 468 Hektare) umfassende Gut erwarben an der zweiten Auktion vom 1. Juli 1837 für 275 100 Gulden der Diessenhofer Melchior Wegelin zusammen mit weiteren acht Käufern. Das vorliegende Schriftstück, das von Wegelin unterzeichnet ist, belegt, dass die Käufer die gesamte Immobilie kurz nach dem Erwerb weiterverkaufen wollten. Wegelin preist im Schreiben die Vorzüge des Gutsbetriebs an, der 57 Zimmer umfasst, wovon 30 heizbar wären. Er erwähnt den grossen Weinkeller und den Torkel (Weinpresse). Zudem zählt er die Gewerbesparten auf, die auf dem Gut betrieben werden, wie eine Metzgerei, eine Pfisterei (Bäckerei), verschiedene Mühlen, eine Ziegelhütte samt Abbaumöglichkeit von Lehm ganz in der Nähe, eine Sennerei, eine Schmiede, ein Gasthaus und eine Bleiche im Weiler Kundolfingen. Den Besitzern gelang es jedoch nicht, den Gutsbetrieb als Ganzes zu veräussern. Bis zum Erwerb der Anlage durch die Georg Fischer AG 1918 wurde vielmehr in Etappen Acker- und Wiesenland sowie Wald gewinnbringend veräussert. Die Klostergebäude dienten verschiedenen Gewerben und als Wohnungen. Der Hof des Kreuzgangs wurde als Hühnerhof genutzt, und im Kreuzgang standen die Fuhrwerke. 1918 gehörten zum Gut noch 50 Hektare Land.
Weber, Johann Konrad (1846–1912), Zeichner, Landschaftsmaler
um 1838
H. 7.05, B. 17.35 cm
Lithographie und Handschrift auf Papier
T 9734
Alois Schwager, Die Klosterpolitik des Kantons Thurgau 1798–1848, 1. Teil (Thurgauer Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Bd. 118), 1981, S. 132–133.

Rainer Sigrist, Schicksal eines Klarissenklosters nach der Aufhebung, Entwicklung des Klosters Paradies bei Diessenhofen im Kanton Thurgau seit 1836 (Helvetia Franciscana, Beiträge zur Geschichte der Brüder und Schwestern des hl. Franz und der hl. Klara in der Schweiz, Bd. 32, 1), 2003, S. 9–16.

Erich Trösch, Paradies, in Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.11.2009. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/012003/2009-11-23/, aufgerufen am 29.03.2024.

Walter Besorger, Peter Niederhäuser, Das Kloster Paradies, in: Schweizerische Kunstführer, 2018.
Schlagwörter: Archivalien, Schriften, Staatliche Institutionen, Kloster, Vedute