Feldstutzer der Thurgauer Scharfschützen, Hinterlader mit Kippklappverschluss nach dem System Milbank-Amsler, eidgenössisches Modell 1864/1867, mit Jatagan (Säbelbajonett) Modell 1864/1867

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Vom Vorderlader mit Perkussionsschloss zum Hinterlader nach dem System Milbank Amsler umgeändertes Gewehr.

Runder brünierter Lauf mit vier Zügen, ab Kammer oktogonal. Quadrantenvisier mit Visierstellung für 200 bis 1000 Schritt. Dachkorn mit Seitenschlaufen (Schwalbenschwanz). Geschweifter Hahn mit geriffeltem (Griffoptimierung) Daumendrücker, zungenförmigem Klapphebel (zum Öffnen des Schlosses), Piston. Eisengarnitur mit Oberband aus Halbband-Hülse mit Schiebehalterung und Bajonetthaft vorne rechts, hinten Schiebehalterung, Hülse für Putzstockführung, breiter angeschraubter Riemenbügel.
Vollschaft, geschweifter Kolbenabschluss mit Kappe, Kappenschraube und Stellhorn. Geschweifter Abzugsbügel mit Fingerhaken, Stecherabzug, doubliertes angeschraubtes Bügelblatt mit breitem Riemenbügel. Putzstock mit flachem breitem Kopf, umgeändert aus Ladestock. Loch im Vorderschaft weist auf Haftungssystem der alten Bänderung hin.

Schläge: Auf Schlossplatte Hersteller «Joh. Walser in Heiden», der Büchsenmacher. Auf Kammer die Waffennummer «575 V R». Je «B» auf Verlängerung des Abzugsbügels, Bügelblatt und Oberband. Auf Bajonetthaft «2 BF» für Beuret Frères Liège. Putzstockkopf mit «575»? und «BF» von Krone überhöht, «19», «B». Am Kolben «575».

Kaliber: 10.5 mm
Der Stutzer war ursprünglich ein kurzes, besonders handliches Jagdgewehr mit gezogenem Lauf und Schaft bis zur Mündung. Im militärischen Bereich erlangte er als präzise Waffe bei den im 18. Jh. aufgestellten Jäger- und Scharfschützenkompanien Bedeutung. Sein Zündsystem wurde mehrmals bis zur Annahme des Vetterli-Stutzers 1871 verändert.
So beschloss der Schweizerische Bundesrat am 29. April 1867, die militärischen Stutzer mit Perkussionszündung auf Hinterlader für Metallpatronen umbauen zu lassen. Insgesamt 24 Schweizer Firmen waren am Projekt zur Ertüchtigung der Militärgewehre beteiligt, eine davon war die Büchsenschmiede von Johann Walser in Heiden (AR). Im Ganzen erfolgte eine technische Aktualisierung von 133 000 Waffen. Bereits ein Jahr später wurde das Projekt gestoppt und die Einführung des Repetiergewehrs nach dem System Vetterli verordnet. Die Gewehre, wie das Vorliegende, kamen zur Kriegsreserve, die meisten davon wurden später demontiert.

Die Beiwaffe zu diesem Gewehr ist ein sogenannter Jatagan. Das Wort «Jatagan» (auch Yatagan) ist türkischen Ursprungs und bezeichnet eigentlich einen osmanischen Säbel, der nach der gleichnamigen Stadt im Südwesten der Türkei benannt ist. Mitte des 19. Jhs. wurde der Jatagan Bestandteil der militärischen Bewaffnung. In Frankreich wurde 1840 für die Muskete M 1840 eine Bajonettklinge verwendet, deren Vorbild der Jatagan war. Auch im Vereinigten Königreich und in der Schweiz kamen solche Säbelbajonette zum Einsatz.

Vorliegende Waffe war in der Scharfschützenkompanie im Einsatz, einer militärischen Einheit mit treffsicheren Soldaten (franz. tireur d’élite, Meisterschütze; engl. marksman, das Ziel treffende Person). Die Scharfschützen, meist in dunkelgrüner Uniform, waren für den Feuerschutz der Artillerie und der Infanterie zuständig, verstärkten die in loser Formation den Gegner irritierenden Jäger und verteidigten feste Plätze. Bis 1874 waren die Scharfschützen ein selbständiger, von der Infanterie getrennter Truppenkörper. Gehörten 1807 20 Thurgauer Scharfschützen zum eidg. Heer, waren es 1817 bereits 100 Mann im Auszug sowie 100 Mann in der Reserve und ab 1848 zwei Kompanien à 100 Soldaten und eine Reservekompanie. Die beiden Thurgauer Scharfschützenkompanien hatten die Nummern 5 und 26. Aufgrund der Militärorganisation von 1874 kam es zur Aufhebung der Waffengattung der Scharfschützen. Sie dienten fortan in den Schützenformationen, waren nicht mehr mit besonderen Gewehren ausgerüstet und durchliefen die gleiche Ausbildung wie die Infanteristen. Auch die Einheit der Jäger wurde aufgelöst.
Walser, Johann, Büchsenmacher in Heiden (AR)

Beuret Frères, Waffenhersteller in Liège (Lüttich, BEL)
1864/1867
L. 126.5 cm, Lauf L. 76 cm
Stahl, brüniert; Eisen; Nussbaumholz
Wg 289, T 26064 (Bajonett)
Albert W. Schoop, Geschichte der Thurgauer Miliz, Frauenfeld 1948, S. 172–173.

Schweizerischer Schützenverein (Hrsg.), Hand- und Faustfeuerwaffen, Schweizerische Ordonnanz 1817 bis 1867, Frauenfeld 1971, S. 74–75.

Hugo Schneider, Schweizer Waffenschmiede vom 15. bis 20. Jahrhundert, Zürich 1976, S. 279.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Eidgenössische Handfeuerwaffen(Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 2), Dietikon-Zürich 1979, S. 99, 153, Nr. 7.

Ernst Grenacher, Schweizer Militärgewehre Hinterladung 1860–1990, 2015, S. 82–83.

Jürg A. Meier, Marc Höchner, Die Berner Jägertruppe entsteht, Schwerter, Säbel, Seitenwehren, Bernische Griffwaffen 1500–1850 (Schriften des Bernischen Historischen Museums, Bd. 15), 2021, S. 108–109, Kat. Nr. 21.
Schlagwörter: Militaria, Waffen, Gewerbe