Gemälde: Porträt von Anna Sabina Gonzenbach (1759–1793) aus Hauptwil

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Hüftstück im Viertelprofil. Die Abgebildete trägt ein blaues Seidenkleid mit engem, in der Mitte vorne spitz zulaufendem Mieder, Faltenrock und bis zu den Ellbogen reichenden anliegenden Ärmeln. Diese mit weiten plissierten Doppelborten, sogenannte Engageantes, aus gehefteten oder angeknöpften, am Innenarm schmaler als am Aussenarm geschnittenen Spitzenvolants. Eckig ausgeschnittenes Dekolleté mit weissem plissiertem schmalem durchsichtigen Spitzenbesatz, ebenso doppelreihige weite weisse Spitzenschösse unter den Ärmelborten. Sabina Gonzenbach schaut die bildbetrachtende Person mit ihren braunen Augen an. Ihre silbergraue Perücke mit kurzem zurückgekämmtem gelocktem Haar rahmt das weisse, noch kindlich rundliche Gesicht mit roten Akzenten auf den Wangen und Lippen, auch der dezente Blumenschmuck in ihrem Haar zeigt eine farbliche Betonung mit blauen, roten und weissen Blumen. Vor sich zwischen ihrem Daumen und Zeigefinger der linken Hand hält sie hellblaue Veilchen (Symbol der Demut und Unschuld), ihr rechter Unterarm ist waagrecht angewinkelt, und mit ihrem rechten Zeigefinger weist sie auf den schwarzen Papagei mit roten Schwingen- und Schwanzfedern hin, der auf einem Ast des auf der linken Bildseite angeschnittenen Baumes sitzt. Rechts im Hintergrund ist der Blick frei auf eine Landschaft mit einem Bergzug am Horizont, über welchem sich das Morgenrot ausbreitet.

Rückseitige Aufschrift mit Nennung der Porträtierten «Sabine Gonzenbach / nata 1759 t 1834».

Die Familie Gonzenbach in Hauptwil war die erste Industriellenfamilie der Schweiz. Zuerst prominent und erfolgreich im St. Galler Leinwandhandel tätig, bauten zwei ihrer Mitglieder, die Brüder Bartholome (1616–1693) und Hans Jakob I. (1611–1671), in der 2. Hälfte des 17. Jhs. ein frühindustrielles höchst profitables Unternehmen auf, indem sie Leinwandstoff, frei von städtischen Verordnungen produzierten und veredelten sowie mit den Tuchballen Handel betrieben. Aufgrund von Unstimmigkeiten mit der konservativen St. Galler Kaufmannschaft richteten die Brüder Gonzenbach im Osten des Thurgaus, an der Grenze zu St. Gallen, Fabrikationsstätten ein, weshalb sich das kleine landwirtschaftlich geprägte Dorf Hauptwil innerhalb weniger Jahre zu einem Zentrum der europäischen Leinwandproduktion entwickelte. War vorerst die Herstellung und das Bleichen des Tuches lukratives Standbein des Geschäfts, erlangte das Färben und Bedrucken der Textilien im Verlauf des 18. Jhs. an Bedeutung. Die Familie pflegte einen gehobenen Lebensstil in Anlehnung an den Geschmack des Adels und bewohnte die zwei herrschaftlichen Gebäude, das Alte (Untere) und das Neue (Obere) Schloss in Hauptwil. Auch gehörten ihr die Niedergerichte Hauptwil und Freihirten. Zudem machten einzelne Familienmitglieder vom Adelsprädikat «von» Gebrauch, obschon dem Namenszusatz weder kaiserliche noch königliche Verbriefungen zugrunde lagen. Im Weiteren verhinderte ein Fideikommiss (Familienstiftung) die Schmälerung des Vermögens aufgrund von Erbteilungen. Um 1700 kam es zum Zerwürfnis der beiden Familienzweige, die auf die Gründer der Industriellendynastie, Bartholome und Hans Jakob, zurückgingen.
Trotz den geschäftlichen Differenzen fanden etliche Heiraten zwischen Mitgliedern der Familie Gonzenbach und Kindern von St. Galler Ratsmitgliedern statt. Insbesondere kam es dank Eheschliessungen zu verwandtschaftlichen Verhältnissen mit der Familie Zollikofer. So heiratete die 20-jährige Anna Sabina Gonzenbach, die Ururenkelin des Unternehmensgründers Hans Jakob I., 1780 den 33-jährigen Johannes Zollikofer (1746–1793), den Sohn des St. Galler Bürgermeisters Julius Hieronimus Zollikofer. Für Johannes war es die zweite Ehe, die 13 Jahre bis zum seinem Tod 1793 dauerte und aus der sieben Kinder hervorgingen.
Das Gemälde zeigt Anna Sabina im jugendlichen Alter von etwa 16 Jahren mit noch kindlichen Zügen. Einige Motive im Bildnis deuten darauf hin, dass dieses Porträt für einen potentiellen Ehekandidaten gemalt wurde, damit diesem die Vorzüge seiner zukünftigen Ehefrau vor Augen geführt werden konnten. Akzentuiert wird die Unschuld der Dargestellten gezeigt: ihr Kleid in Blau, der Farbe des Marienmantels, in ihrer Linken Veilchen, ein Symbol der Jungfräulichkeit und einen Papagei als Gefährten, ein weiteres Sinnbild für die Muttergottes. Das hinter Sabina Gonzenbach liegende Bergmassiv ist vermutlich das Säntisgebirge in der Ostschweiz. Dieses ist von Hauptwil aus, dem Wohnort von Gonzenbach, in der Ferne gut sichtbar. Das Gebirge ist im Bild von der Morgenröte umgeben, die symbolisch ebenfalls mit der Muttergottes in Verbindung steht und zudem auch einen Neuanfang repräsentiert, der in diesem Zusammenhang den Lebensabschnitt der Ehe bedeuten könnte.
um 1775
H. 76, B. 64.5, T. 3.5 cm
Öl auf Leinwand
T 44096
Ernest Menolfi, Hauptwil-Gottshaus, Frauenfeld 2011, S. 65–127, 362–363.

Stefan Keller, Spuren der Arbeit, Weinfelden 2020, S. 7–18.
Schlagwörter: Hauswirtschaft, Malerei, Porträt, Symbol, Tier, Landschaft, Industrie, Textilien