Grafik: Die Entstehung des Kartäuserordens, dargestellt in neun Szenen aus der «Statuta ordinis cartusiensis»

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Blatt mit neun gleich grossen Feldern, in welchen Szenen aus der «Origo Ordinis Cartusiensis», der Entstehungsgeschichte des Kartäuserordens, abgebildet sind. Die Bildergeschichte beginnt oben links und endet unten rechts.
Das Blatt ist oben beschnitten, weshalb der Titel des Blattes und die Überschriften der ersten drei Szenen fehlen. Die Szenen vier bis neun sind oberhalb der Bilder tituliert.

Im vollständig erhaltenen Exemplar der «Statuta ordinis cartusiensis» der Universitätsbibliothek Basel sind die ersten drei Szenen wie folgt tituliert:

1. Bild: «Justo die iudicio accusatur sum» (Ich bin vom gerechten Gott vor dem Jüngsten Gericht angeklagt worden)

2. Bild: «Justo die iudicio iudicatus sum» (Ich bin vom gerechten Gott gerichtet worden)

3. Bild: «Justo die iudicio condemnatur» (Er ist vom gerechten Gott für schuldig erklärt/zum Sünder erklärt)

Lateinische Überschrift der Bilder vier bis neun, mit deutscher Übersetzung:

4. Bild: «Ecce elongavi fugiens / et mansi in solitudine. Psal. 54.». (Seht, in die Ferne floh ich und blieb in der Einsamkeit. Psal. 54.).

5. Bild: «Ep[iscopu]s vidit in somnio septe[m] stellas ante pedes suos cadere». (Der Bischof sieht im Schlaf sieben Sterne vor seine Füsse fallen.).

6. Bild: «Bruno et socii ei[us] cadu[n]t ad pedes episcopi / petentes sibi dari locu[m].». (Bruno und dessen Gefährten fallen zu Füssen des Bischofs und bitten ihn, dass er ihnen ein Landstück gebe.).

7. Bild: «Episcop[us] stellis sibi ducatu[m] praebentibus / ostendit ipsis locum.». (Der Bischof zeigt ihnen den Ort, wo die weisenden Sterne hingeführt haben.).

8. Bild: «In loco eis demonstrato / edificant.». (An diesem gezeigten Ort bauen sie.).

9. Bild: «Cartusia co[n]structa / in cellis contemplant[ur].». (Nach dem Bau der Kartause ziehen sie sich in ihre Zellen zurück.).

Die Bilderabfolge erzählt die Legende vom heiligen Bruno und der Gründung des Kartäuserordens. Bilder 1 bis 3 illustrieren das Wunder der «Redenden Leiche». Raymond Diocrès, ein Professor an der Universität von Paris und Brunos Lehrer verstarb im Jahr 1084. Während seiner Totenmesse erwachte sein Leichnam wieder zum Leben (Bild 1) und verkündete, dass Gott ihn angeklagt, gerichtet und verurteilt habe (Bild 2). Als Sünder wurde er daraufhin ausserhalb der Kirche begraben (Bild 3). Von dieser Bestrafung Gottes erschüttert, wandte sich Bruno von weltlichen Belangen ab und zog mit sechs Begleitern los auf die Suche nach einem Ort, wo sie in Zurückgezogenheit leben könnten. Auf Unterstützung hoffend, gingen sie zum Bischof Hugo von Grenoble (Bild 4). Im Traum waren sie dem Bischof in Form von sieben Sternen bereits erschienen (Bild 5). Zusammen mit seinen sechs Gefährten bat Bruno den Bischof um ein Stück Land (Bild 6). Dem Bischof war in seinem Traum bereits von den sieben Sternen der hierfür passende Ort gezeigt worden und zu diesem abgeschiedenen Stück Land in der felsigen Gegend nördlich von Grenoble brachte er Bruno und seine Gefolgschaft (Bild 7). Hier errichteten sie eine Einsiedelei (Bild 8). Diese Anlage mit einzelnen Holzhäusern und einer Steinkirche bildete die erste Kartause (Bild 9), La Grande Chartreuse, die bis heute das Mutterkloster des Kartäuserordens ist.

Der gedruckte Text auf der Rückseite ist eine Anmerkung zur Gründung des Kartäuserordens «De origine ordinis cartusiensis brevis annotato».
Er ist in Humanistischer Minuskel geschrieben und beginnt mit einer roten grossen Zierinitiale. Vereinzelt wurden die schwarzen Buchstaben am Satzanfang mit Rot markiert.

Das Blatt stammt aus der Publikation «Statuta Ordinis Cartusiensis», aus dem zweiten Abschnitt mit dem Titel «Statuta Ordinis Cartusiensis a domino Guigone edita».

Guigo I., der fünfte Prior des ersten Kartäuserklosters La Grande Chartreuse, verfasste 1127 die sogenannten Consuetudines (Gebräuche), die Leitsatzung des Ordens, die Papst Innozenz II. 1133 anerkannte. 1259 und 1368 wurden die Consuetudines durch Regeln (Statuten) erweitert. 1509 revidierte der Prior François Du Puy die Lebensordnung der Kartäuser.
Erstmals 1510 beim Verleger Johannes Amerbach (ca. 1440–1513) in Basel gedruckt, wurde das Werk durch Holzschnitte des Schweizer Zeichners, Kupferstechers, Goldschmieds und Glasmalers Urs Graf dem Älteren (um 1485–vor 1528) illustriert.
Das Buch ist in sechs Abschnitte eingeteilt: I. Repertorium statuorum Ordinis Cartusiensis per ordinem alphabeti, II. Statuta Ordinis Cartusiensis a domino Guigone edita, III. Statuta antiqua Ordinis Cartusiensis in tribus partibus comprehensa, IV. Statuta nova Ordinis Cartusiensis, V. Tertia compilatio statuorum Ordinis Cartusiensis, VI. Privilegia Ordinis Cartusiensis.
Graf, Urs (um 1485–vor 1528), Glasmaler, Zeichner, Goldschmied

Amerbach, Johannes (um 1440–1513), Drucker, Verleger in Basel
1510
H. 23, B. 16.2 cm
Holzschnitt auf Büttenpapier
T 7848
Statuta ordinis cartusiensis. [impressa Basilee] : [arte et industria iohannis amorbachii ac collegarum suorum [i. e. Johannes Petri u. Johannes Froben]], [1510]. Universitätsbibliothek Basel, https://doi.org/10.3931/e-rara-2879 / https://doi.org/10.3931/e-rara-27715, aufgerufen am 13.08.2024.

Bilder und Bildchen des heiligen Bruno, Katalog der Ausstellung im Ittinger Museum, 1984, S. 3.

Stadtbibliothek Ulm, Buch des Monats Juni 2009, Statuta Ordinis
Cartusiensis a domino Guigone priore Cartusie edita Basel, Johann Amerbach 1510, file:///S:/Daten/Downloads/BrowserTemp/Statuta%20Ordinis%20Cartusiensis.pdf, aufgerufen am 06.11.2023.

Martin Rohde, Graf, Urs (der Ältere), in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.12.2005, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/018294/2005-12-01/, aufgerufen am 13.08.2024.

Beat von Scarpatetti, Amerbach, Johannes, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.10.2010, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/015300/2010-10-07/, aufgerufen am 13.08.2024.

Kunstmuseum Thurgau, Der Kartäuserorden, https://kunstmuseum.tg.ch/de/ittinger-museum/geschichte/ordensgeschichte.html/9268#js-accordion_control--02, aufgerufen am 26.08.2024.

Ökumenisches Heiligenlexikon, Der Brunozyklus aus Köln, https://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Brunozyklus_aus_Koeln.html, aufgerufen am 17.12.2024.
Schlagwörter: Druckgrafik, Kunsthandwerk, Bücher, Kloster, Brauchtum