Kadettengewehr für Einzelladung, Hinterlader mit Zylinderverschluss nach dem System Vetterli, eidgenössisches Modell 1870, Typ II

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Runder brünierter Lauf mit vier konzentrischen Zügen, ab Höhe Kammer oktogonal. Drehverschluss mit Zylinder, Quadrantenvisier mit Vertikalschieber, Visierstellung bis 600 m, Sattelkorn, Kornträger dient als Bajonetthaft. Garnitur aus zwei Bändern mit Federhalterung, Oberband mit Führung unten für den Putzstock, Mittelband mit breitem Riemenbügel unten.
Voller Nussbaumholzschaft mit geschweiftem Kolbenabschluss. Angeschraubte Kolbenkappe, runder Abzugsbügel und angeschraubtes Bügelblatt, Kolbenunterseite mit angeschraubter Montage mit breitem Riemenbügel. Eiserner Putzstock. Laufdeckel aus Messing, Modell 1887.

Schläge: Auf Zylinderhülse unter Schweizerkreuz «W» und «Bern» (Waffenfabrik Bern, Hersteller), daneben «STAHL», zwei Mal «N» unter Schweizerkreuz in Oval (Kontrollstempel ab 1863).
Oktogonaler Laufteil wiederum mit Schweizerkreuz und «W» und «Bern» darunter, sowie Waffennummer «7315», zwei Ovale mit je Schweizerkreuz über «R» (Kontrollstempel ab 1867 von Inspektor Georg Raschein) bzw. «M» (Kontrollstempel ab 1867 von Inspektor Hans von Mechel). Auf Visierplatte und Visierschieberunterseite «315» (abgekürzte Waffennummer), auf Oberseite des Visierschiebers Oval mit Schweizerkreuz über «M». Ebenso Ober- und Mittelband sowie Bügel je mit Oval mit Schweizerkreuz über «M». Auf Kolbenkappe «315« und Oval mit Schweizerkreuz über «M». Auf Laufdeckel «M» unter Schweizerkreuz.
Schaft mit «M» in Schild unter Schweizerkreuz (Annahmestempel für Holzteile).

Kaliber: 10.4 mm

Anders als das Kadettengewehr Modell 1870 vom Typ I hat der Typ II keine Schliesshülse für den Verschlusskasten.
Der Thurgauer Konstrukteur und nachmalige Direktor der SIG (Schweizerische Industrie-Gesellschaft) in Neuhausen, Johann Friedrich Vetterli (1822–1882), hat die modernste Waffe seiner Zeit entwickelt, die seither seinen Namen trägt. Das neue Verschlusssystem erlaubte eine Steigerung von bis zu 21 Schuss in der Minute sowie den Einsatz von Metallpatronen. 1870 beschloss das Schweizerische Militärdepartement auch die Kadettenkorps mit dem Vetterli-Hinterlader neu zu bewaffnen, weshalb davon zwischen 1870 und 1890 ca. 10 634 für den Militärnachwuchs produziert wurden. Bis Ende 1872 gingen 4250 Bestellungen für das Kadettengewehr vom Typ II ein, wovon 100 Waffen von der Zeughausverwaltung Frauenfeld in Auftrag gegeben wurden. Das Stück konnte für CHF 43.– bezogen werden. Das Kadettengewehr Modell 1870 blieb im Einsatz, bis es ab 1898 von der nächsten Generation, dem Modell 1897, abgelöst wurde.

Kadettenkorps sind die ältesten Kinder- und Jugendverbände der Schweiz und entstanden im 18. Jh. Sie hatten zum Ziel, 10- bis 15-jährige Knaben mit Waffenübungen, Marschtraining, Patrouillenläufen, Paraden und Manövern auf den Armeedienst vorzubereiten. Bis 1972 unterstützte der Bund finanziell das Kadettenwesen.
Die Ausbildung der Thurgauer Kadetten erfolgte an der 1853 gegründeten Kantonsschule Frauenfeld, wo ein von der Regierung gewählter Kadettenchef die Schüler unterrichtete. Allmählich entwickelte sich der militärische Drill hin zur sportlichen Ertüchtigung. Der obligatorische Schiessunterricht für Kadetten blieb bis 1970 bestehen.
Eidgenössische Waffenfabrik Bern (W+F), heutige RUAG, gegründet 1871 in Bern
1872–1898
L. 112 cm, Lauf L. 68 cm
Stahl, brüniert; Eisen; Messing; Nussbaumholz
T 40518
Erhard Clavadetscher, Zwei Thurgauer Waffenpioniere, Friedrich Vetterli und Friedrich von Martini, in: Thurgauer Jahrbuch 38. Jg., 1963, S. 7–18.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Oskar Krebs, Christian Reinhart, Robert Schiess, Handfeuerwaffen System Vetterli (Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 3), Dietikon-Zürich 1970, S. 68.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Eidgenössische Handfeuerwaffen(Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 2), Dietikon-Zürich 1979, S. 169–174.

Louis Burgener, Kadetten in der Schweiz (Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift, Bd. 152), 1986, Heft 10, Beiheft.

Ernst Grenacher, Schweizer Militärgewehre Hinterladung 1860–1990, 2015, S. 118, 126, 128, 280–281.

Staatsarchiv Thurgau (StATG), Sig. 9'20, Kantonsschule Frauenfeld 1853–1983, Kantonsschule Frauenfeld, 3. Ausbildung und Abteilungen. https://query-staatsarchiv.tg.ch/detail.aspx?ID=366023, aufgerufen am 12.04.2022.
Schlagwörter: MIlitaria, Bildungswesen, Sport, Waffen, Industrie