Kadettengewehr für Einzelladung, Hinterlader nach dem System Vetterli, Modell 1870, Typ II

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Runder brünierter (verblasst) Lauf mit vier konzentrischen Zügen, auf Höhe Visier oktogonal. Drehverschluss mit Zylinder, Quadrantenvisier mit Vertikalschieber, Visierstellung bis 600 m, Sattelkorn, Kornträger dient als Bajonetthaft. Garnitur mit zwei Bändern mit Federhalterung: Oberband mit Führung unten für den Putzstock, Mittelband mit breitem Riemenbügel unten.
Voller Nussbaumholzschaft mit geschweiftem Kolbenabschluss. Angeschraubte Kolbenkappe, runder Abzugsbügel und angeschraubtes Bügelblatt, Kolbenunterseite mit angeschraubter Montage mit breitem Riemenbügel. Eiserner Putzstock mit Messingkopf.

Schläge: Auf Verschluss zwei Mal in Oval Schweizerkreuz über «C» (Kontrollstempel ab 1869), auf oktogonalem Laufteil zwei Mal in Oval Schweizerkreuz über «W» (diese Form der W-Punze ab 1870), in Oval Schweizerkreuz über «C», Schweizerkreuz über «E» (Kontrollstempel ab 1867), Schweizerkreuz über «MW» (Hersteller, Montierwerkstätte Thun) und Waffennummer «1589». Visier mit zweimaligem «589» (abgekürzte Waffennummer) und in Oval Schweizerkreuz über «V» (Kontrollstempel ab 1869, ev. von Inspektor Oberst Vogelsang, im Einsatz 1879–1912), Schaft «TH» (Zeughaus Frauenfeld, Besitzer), Waffennummer «1589», Annahmestempel für Holzteile aus «W» in Schild mit Schweizerkreuz darüber, «MW» unter Schweizerkreuz (Hersteller).
Weitere ovale Punzen mit Buchstaben unter Schweizerkreuz (Kontrollstempel der Inspektoren): Schwanzschraube mit «C», auf Oberband «A», auf Mittelband «V». Auf Bügelblatt «P» unter Schweizerkreuz (ab 1869). Obere Schraube der Kolbenkappe mit «589».
Zwei Schläge «Verkauft».

Anders als das Kadettengewehr Modell 1970 vom Typ I hat der Typ II keine Schliesshülse für den Verschlusskasten.
Der Thurgauer Konstrukteur und nachmalige Direktor der SIG (Schweizerische Industrie-Gesellschaft) in Neuhausen, Johann Friedrich Vetterli (1822–1882), hat die modernste Waffe seiner Zeit entwickelt, die seither seinen Namen trägt. Das neue Verschlusssystem erlaubte eine Steigerung von bis zu 21 Schuss in der Minute sowie den Einsatz von Metallpatronen. 1870 beschloss das Schweizerische Militärdepartement die Neubewaffnung der Kadettenkorps mit dem Vetterli-Hinterlader, weshalb davon zwischen 1870 und 1890 ca. 10 634 Exemplare produziert wurden. Bis Ende 1872 gingen 4250 Bestellungen für das Kadettengewehr vom Typ II ein, davon gab die Zeughausverwaltung Frauenfeld 100 Stück in Auftrag. Eine Waffe konnte für CHF 43.– bezogen werden. Das Kadettengewehr Modell 1870 blieb im Einsatz, bis es ab 1898 von der nächsten Generation, dem Modell 1897, abgelöst wurde.

Kadettenkorps sind die ältesten Kinder- und Jugendverbände der Schweiz und entstanden im 18. Jh. Sie hatten zum Ziel, 10- bis 15-jährige Knaben mit Waffenübungen, Marschtraining, Patrouillenläufen, Paraden und Manövern auf den Armeedienst vorzubereiten. Bis 1972 unterstützte der Bund finanziell das Kadettenwesen.
Die Ausbildung der Thurgauer Kadetten erfolgte an der 1853 gegründeten Kantonsschule Frauenfeld, wo ein von der Regierung gewählter Kadettenchef die Schüler unterrichtete. Allmählich entwickelte sich der militärische Drill hin zur sportlichen Ertüchtigung. Der obligatorische Schiessunterricht für Kadetten blieb bis 1970 bestehen.
Eidgenössische Montierwerkstätte, gegründet 1863 in Thun
1872–1898
L. 111 cm, Lauf L. 68 cm
Stahl, brüniert; Eisen; Messing; Nussbaumholz
Wg 302
Erhard Clavadetscher, Zwei Thurgauer Waffenpioniere, Friedrich Vetterli und Friedrich von Martini, in: Thurgauer Jahrbuch 38. Jg., 1963, S. 7–18.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Oskar Krebs, Christian Reinhart, Robert Schiess, Handfeuerwaffen System Vetterli (Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 3), Dietikon-Zürich 1970, S. 68.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Eidgenössische Handfeuerwaffen(Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 2), Dietikon-Zürich 1979, S. 169–174.

Louis Burgener, Kadetten in der Schweiz (Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift, Bd. 152), 1986, Heft 10, Beiheft.

Ernst Grenacher, Schweizer Militärgewehre Hinterladung 1860–1990, 2015, S. 118, 126, 128, 280–281.

Staatsarchiv Thurgau (StATG), Sig. 9'20, Kantonsschule Frauenfeld 1853–1983, Kantonsschule Frauenfeld, 3. Ausbildung und Abteilungen. https://query-staatsarchiv.tg.ch/detail.aspx?ID=366023, aufgerufen am 12.04.2022.
Schlagwörter: Militaria, Bildungswesen, Sport, Waffen, Industrie