Petschaft: Ovaler Siegelstempel der Munizipalität Ermatingen, mit Handhabe, aus der Sammlung von August Mayer

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Vs.: «HELVETISCHE REPUBLICK», spiegelverkehrt, Wilhelm Tell in «altschweizerisch-vaterländischer Tracht» (Söldnerkleidung mit geschlitzten Beinkleidern und geschlitztem Wams) mit Federhut, Schwert und Köcher, neben Baumstumpf mit frisch austreibenden Eichenzweigen, nimmt seinen Sohn Walter in die Arme, der den mit einem Pfeil durchschossenen Apfel in die Höhe hält, am Boden Armbrust, darunter mehrzeiliger Schriftzug: «MUNICIPA[L]ITÄT / ERMATINGEN», spiegelverkehrt, darunter dreiteilige Girlande.
Unter einzelnen Buchstaben sind die Hilfslinien zur Ausrichtung derselben erkennbar.
Rs.: Handhabe aus einem hohen achteckigen Schaft, welcher unten in einen ovalen Fuss übergeht, an den die ovale Siegelplatte aus Messing gelötet ist.

(Zur Darstellung Wilhelm Tells zur Zeit der Helvetik vgl. Balázs Kapossy).
Der Ermatinger August Mayer (1818–1902) war ein leidenschaftlicher Sammler von Antiquitäten, die er dem Historischen Verein des Kantons Thurgau vermachte.

Die Munizipalität war während der Helvetik das Verwaltungsorgan der Einwohnergemeinde (später Munizipalgemeinde genannt). Die Munizipalität bestand aus mehreren Mitgliedern, denen ein Präsident vorstand. Sie wurde von allen Aktivbürgern der Einwohnergemeinde an der Generalversammlung gewählt. Jedes Jahr wurde ein Drittel der Mitglieder durch Wahl neu bestimmt. Die Einwohnergemeinde wurde mit dem Gesetz vom 13./15. Februar 1799 definitiv in der Schweiz eingeführt und umfasste alle in der Gemeinde niedergelassenen Schweizer Bürger. Parallel dazu blieben die Ortsbürgergemeinden bestehen, welche den reduzierten Kreis derjenigen Gemeindebürger umfasste, welche althergebrachte Nutzungsrechte am zuvor bereits bestehenden Gemeindegut innehatten. Beide Gemeindeorganisationen nahmen in der Folge unterschiedliche Aufgaben wahr. Während die Munizipalität in erster Linie vor allem politische, polizeiliche und verwaltende Tätigkeiten wahrnahm, waren die Ortsbürgergemeinden hauptsächlich für den Erhalt der Gemeindeinfrastruktur, das Schulwesen als auch für das Armen- und Fürsorgewesen sowie für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts zuständig. Mit der durch die Thurgauer Verfassung von 1987 geforderten Neuordnung der Gemeindeorganisation gingen bis zum Jahr 2000 die bisher parallel nebeneinander bestehenden Gemeindeorganisationen (Munizipalgemeinde, Ortsgemeinde) im Thurgau in die Institution der politischen Gemeinde über.

Mit dem Ende der Helvetischen Republik 1803 verschwand von den amtlichen Siegelstempeln das bis anhin verwendete Emblem mit Wilhelm Tell und Sohn. Anstelle desselben traten individuell gestaltete ikonografische Lösungen. Die klassizistische Darstellung der Frauenfigur als Allegorie der Hoffnung auf diesem Objekt aus Bischofszell deutet auf einen Entstehungszeitraum im 1. Viertel des 19. Jhs. hin.
1799–1803
L. 8.5, B. 3.4, H. 3.8 cm
Messing, graviert, punziert; Eisen, gegossen, geschmiedet; gelötet.
Mc 135
Paul Rosenkranz, Die Gemeinden im Thurgau vom Ancien Régime bis zur Ausscheidung der Gemeindegüter 1872 (Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Bd. 107), Frauenfeld 1969, S. 9–278.

Balázs Kapossy, 2.33 Freiheitsheld als liebevoller Vater, in: Zwischen Entsetzen und Frohlocken, Vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798–1848, Ausstellungskatalog, Bernisches Historisches Museum, Bern 1998, S. 91.

Angelus Hux, Die Entwicklung der Bürgergemeinden im Thurgau, 2007. https://jimdo-storage.global.ssl.fastly.net/file/d131f532-cc48-43f2-af5c-883b2b40a19d/Entwicklung%20der%20B%C3%BCgergemeinden%20im%20Thurgau.pdf, aufgerufen am 29.09.2022.

André Salathé, Munizipalgemeinde, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.03.2007. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010264/2007-03-30/, aufgerufen am 07.09.2022.

Andreas Fankhauser, Munizipalität, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.11.2007. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/026446/2007-11-07/, aufgerufen am 22.11.2023.
Schlagwörter: Sphragistik, Kunsthandwerk, Staatliche Institutionen, Kommunikation, Justiz, Geschichte