Petschaft: Ovaler Siegelstempel des Evangelischen Matrimonialgerichts des Kantons Thurgau, mit Handhabe

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Vs.: «EVANG . MATRIMONIAL GERICHT (Rosette)», in Schriftband, spiegelverkehrt, ovaler Thurgauer Wappenschild an Steinblock gelehnt, daneben zwei gekreuzte, nach unten gesenkte Fackeln mit erlöschenden Flammen als Symbol der Trauer, darunter Schriftzug: «C. THURGAU», spiegelverkehrt. Ovale Aussenrahmung aus Perlen.
Rs.: Handhabe aus achteckigem gedrungenem massivem Schaft, mit abgesetztem polygonalem Fuss, welcher zu einer ovalen Bodenplatte ausläuft.
Im Gegensatz zu den ehemals regierenden Alten Orten der Eidgenossenschaft, wo jeweils einheitliche konfessionelle Verhältnisse herrschten (katholisch oder reformiert), waren viele ehemalige Gemeine Herrschaften gemischt konfessionell. Das führte im jungen Kanton Thurgau dazu, dass viele Gremien und Institutionen entweder nach einem festen Schlüssel gemischt konfessionell zusammengesetzt wurden oder dass parallele Institutionen für beide Konfessionen (katholisch und reformiert) entstanden. Dazu gehörten z.B. auch die Ehegerichte.

Das Evangelische Matrimonialgericht (Ehegericht) wurde 1804 provisorisch eingeführt und mit dem Gesetz vom 21. Dezember 1809 fest etabliert. Es bestand parallel zum ebenfalls 1806 zunächst provisorisch eingesetzten Katholischen Konsistorialgericht (Kirchengericht), welches ebenfalls mit einem Gesetz von 1810 definitiv institutionalisiert wurde.
Das Evangelische Matrimonialgericht befasste sich vor allem mit der Schlichtung von Ehestreitigkeiten, Ehescheidungen mit Beschluss der Kinderfolge (Erbrecht), Streitigkeiten bei Eheversprechen, Ehelichkeit und Erbberechtigung von Kindern, welche in der Zeit des Eheversprechens gezeugt worden waren sowie Vaterschaftsklagen mit Eheanspruch. Für Ehedispense bei zu nahen Verwandtschaftsgraden erarbeitete das Matrimonialgericht ein Gutachten zu Handen des Evangelischen Kleinen Rates.
Mit der Regenerationsverfassung von 1831 wurden die Kompetenzen der bisherigen konfessionellen Sondergerichte zwar eingeschränkt, u.a. zu Gunsten der Bezirksgerichte, welche von nun an für Unzuchtsvergehen und Alimentationsklagen zuständig waren. Jedoch oblag es weiterhin den konfessionellen Instanzen, Eheversprechens- und Scheidungsklagen zu beurteilen.
Ab 1833 konnten die durch das Evangelische Matrimonialgericht bzw. Katholische Konsistorialgericht gefällten Urteile an das Evangelische bzw. Katholische Obergericht als neue Beschwerde- bzw. Appellationsinstanz weitergezogen werden. Folgerichtig wurde die Benennung der konfessionellen Gerichte in Evangelisches bzw. Katholisches Matrimonialgericht 1. Instanz abgeändert. Mit der Kantonsverfassung von 1849 wurden die konfessionellen Sondergerichte im Thurgau endgültig abgeschafft.

Aufgrund der stilistischen Gestaltung dürfte es sich um eine Arbeit des Diessenhofer Graveur- und Petschaftsstecher Balthasar Vorster handeln.
Vorster, Balthasar (1749–1826), Graveur und Petschaftstecher in Diessenhofen
1804–1826
L. 6.2, B. 3.7, H. 4 cm
Eisen, gegossen, geschmiedet, graviert, punziert, poliert
Mc 6
Leonard Forrer, Biographical Dictionary of Medallists, Coin, Gem, and Seal-Engravers, Mint-Masters, & c., Ancient and Modern with references to their works, B.C. 500 – A.D. 1900, London 1902–1930, Bd. 6, S. 312–313 (Balthasar Vorster).

Kurt Fritsche, Staat und Kirche im Thurgau während der Restaurationszeit (1814–1830), 1. Teil (Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Bd. 110, 1972), Frauenfeld 1973, S. 5–144, bes. S. 80–86.

Werner Kundert, Das Vaterschaftsrecht in der Praxis der konfessionellen Gerichte des Kantons Thurgau (1804–1832), (Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Bd. 110, 1972), Frauenfeld 1973, S. 175–209, bes. S. 199.
Schlagwörter: Sphragistik, Kunsthandwerk, Staatliche Institution, Religion protestantisch, Kommunikation, Heraldik, Justiz