Repetierkarabiner der Kavallerie, Hinterlader nach dem System Vetterli, Modell 1871, Typ II

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Runder Lauf aus brüniertem Stahl und mit vier Zügen, ab Mitte Magazinhöhe oktogonal. Drehverschluss mit Zylinder, Röhrenmagazin für sechs Patronen im Vorderschaft und eine Patrone im Zubringer, Quadrantenvisier mit Vertikalschieber und Schutzwangen (System Schmidt, ab 1878), Visierstellung bis 600 m. Gestuftes Oberband mit Balkenkorn und Kornschutz, Riemenbügel und Führung für Putzstock.
Zweiteilige Vollschäftung, Vorderschaft mit Verschnitt aus Quadraten. Kolben mit geschweiftem Abschluss. Kolbenkappe, runder Abzugsbügel und Bügelblatt mit hinterem rundem Riemenbügel. Eiserner Putzstock.

Schläge: Auf Verschlusskastendeckel der Hersteller «Pfenninger Staefa» und die Waffennummer «2186». Kastenunterseite «2186», in Oval Schweizerkreuz über «V» (Kontrollpunze ab 1869, ev. von Inspektor Oberst Vogelsang, im Einsatz 1879–1912). Kastenschliesser mit Oval mit Schweizerkreuz über «C» (Kontrollpunze ab 1869). Auf Lauf neben Visier «2186», in Oval Schweizerkreuz über «V» und zwei Ovale mit je einem Schweizerkreuz über «M» (Kontrollpunze ab 1867 von Inspektor Hans von Mechel). Auf Visierbacke Schweizerkreuz über «M» (Kontrolleur Mühlemann). Verschlusshülse mit «21C» über Schweizerkreuz und «2186», beim Kammerstängel «M [?]», auf Kolbenkappe «2186», am Oberband zwei Mal «2186», in Oval über Schweizerkreuz «V». Am Vorderschaft Brandstempel «2186» und «V» in Kreis und Schweizerkreuz darüber.

Kaliber: 10. 4 mm
Munition: Ord. 1871, später 1878.
Der Thurgauer Konstrukteur und nachmalige Direktor der SIG (Schweizerische Industrie-Gesellschaft) in Neuhausen, Johann Friedrich Vetterli (1822–1882), hat die modernste Waffe seiner Zeit entwickelt, die seither seinen Namen trägt. Das neue Verschlusssystem erlaubte eine Steigerung von bis zu 21 Schuss in der Minute sowie den Einsatz von Metallpatronen. Es war das erste Repetiergewehr, welches als Kriegswaffe verwendet wurde. Zur Familie der Vetterli-Repetierer gehörten 15 unterschiedliche Modelle von Infanteriegewehren, Stutzern und Karabinern für die Kavallerie. Letztere wurden auch vom Zoll und von der Polizei verwendet.
Mit dem Bundesratsbeschluss vom 20. Februar 1871 wurde der vorliegende Karabiner zur eidg. Ordonnanzwaffe für Dragoner und Guiden der Kavallerie erklärt. Die Kantone statteten ihre Truppen mit der Waffe aus, wobei sie pro Stück CHF 70.– bezahlten.

Vom Modell 1871 wurden über 3050 Exemplare angefertigt, wovon die meisten, nämlich 2500 die Büchsenmacherei Pfenninger in Stäfa produzierte. Vorliegendes Exemplar wurde 1874 für einen Soldaten der jüngsten Jahrgänge einer Dragonerkompanie des Auszugs abgeliefert, was aufgrund der Waffennummer erkennbar ist.
280 dieser Karabiner fanden ab 1895 in abgeänderter Form beim Grenzwächterkorps Verwendung. Diese militärische Einheit wurde bereits 1878 mit 400 zweckmässigeren Waffen ausgerüstet, nämlich mit Vetterli-Karabinern, die jedoch, anders als jene für Kavalleristen, eine Bajonetthaft aufwiesen, da Grenzwächter mit einem Seitengewehr ausgerüstet waren. 1896 erwarb zudem die Oberzolldirektion 400 Karabiner vom Modell 1871. Ferner kam eine Version des Karabiners, spezifisch für Polizeikorps gebaut, um 1870 und 1878 in Produktion.

In Stäfa betrieb die Familie Pfenninger seit dem 18. Jh. eine Büchsenwerkstatt. Ab der dritten Generation arbeiteten die Waffenschmiede Pfenninger für das EMD (Eidgenössisches Militärdepartement). Johann Rudolf (1828–1898) bekam den Auftrag zur Produktion der Vetterli-Karabiner, sein Sohn Heinrich (1865–1945) und dessen Sohn Johann Rudolf (*1906) hatten die Lizenz für die Reparatur der eidg. Ordonnanzwaffen.
Pfenninger, Johann Rudolf II. (1828–1898), Büchsenmacher in Stäfa
1874
L. 93 cm, Lauf L. 45 cm
Stahl, Eisen, Nussbaumholz
Wg 172
Die schweiz. Ordonnanz-Hinterladergewehre, seit 1867, in: Schweizer Soldat, Monatszeitschrift für Armee und Kader mit FHD-Zeitung, Bd. 4, Heft 11, 1928–1929, S. 261.

Erhard Clavadetscher, Zwei Thurgauer Waffenpioniere, Friedrich Vetterli und Friedrich von Martini, in: Thurgauer Jahrbuch 38. Jg., 1963, S. 7–18.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Oskar Krebs, Christian Reinhart, Robert Schiess, Handfeuerwaffen System Vetterli (Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 3), Dietikon-Zürich 1970, S. 54–55.

Hugo Schneider, Schweizer Waffenschmiede vom 15. bis 20. Jahrhundert, Zürich 1976, S. 212.

Matthias Senn, Zeuge einer traditionsreichen Büchsenmacherei, Die Sammlung, Geschenke, Erwerbungen, Konservierungen, Schweizerisches Nationalmuseen, 2006–2007, S. 7–8.

Ernst Grenacher, Schweizer Militärgewehre Hinterladung 1860–1990, 2015, S. 126, 260–261.
Schlagwörter: Militaria, Waffen, Justiz, Gewerbe, Industrie