Repetierkarabiner, Hinterlader nach dem System Vetterli, Sportgewehr (Private Waffe), ursprünglich wohl militärische Ausrüstung von Kavallerie-Oberst Johann Georg Leumann (1842–1918), Thurgauer Textilindustrieller und Politiker

zurück

Runder brünierter Lauf mit vier Zügen, auf Höhe der Patronenkammer oktogonal. Drehverschluss mit Zylinder, Röhrenmagazin für sechs Patronen im Vorderschaft, eine im Zubringer. Kastenschliesser. Quadrantenvisier mit Visierstellung bis 400 m. Sattelkorn mit dem Lauf aus einem Stück. Gestuftes Oberband mit Federhalterung, rundem Riemenbügel und Führung für eisernen Putzstock.
Zweiteiliger Nussbaumholzschaft mit Verschnitt aus Fischhautmusterung in zickzackförmigem Band auf Vorder- und Hinterschaft. Kolben mit geschweiftem Abschluss. Kolbenkappe. Geschweifter zweiteiliger Abzugsbügel mit Fingerhaken, angeschraubtes Bügelblatt. Auf Kolben Ösenschraube mit rundem Riemenbügel.

Schläge: Auf Verschlusskastendeckel des Herstellers «SOC. IND. SUISSE. SYST. VETTERLIN [N?]» (Société industrielle suisse, Schweizerische Industrie-Gesellschaft). Diverse Fabrikationsangaben: Auf Lauf neben Visier «AW» und in Vertiefung «JD». Auf Zylinder «JD» und «K». Auf Schwanzschraube «JS» und «4?».

Private Waffe aufgrund Abweichungen vom Ordonnanz-Modell wie der Fischhautmusterung in zickzackförmigem Band und der Riemenhalterung.
Der Thurgauer Konstrukteur und nachmalige Direktor der SIG (Schweizerische Industrie-Gesellschaft) in Neuhausen, Johann Friedrich Vetterli (1822–1882), hat die modernste Waffe seiner Zeit entwickelt, die seither seinen Namen trägt. Das neue Verschlusssystem erlaubte eine Steigerung von bis zu 21 Schuss in der Minute sowie den Einsatz von Metallpatronen.
Es war das erste europäische kleinkalibrige Repetiergewehr, welches als Kriegswaffe verwendet wurde. Am 27. Februar 1868 wurde sein Modell von der eidgenössischen Gewehrprüfungskommission abgenommen und ein Jahr später wurde von der schweizerischen Bundesversammlung beschlossen, das Mehrladesystem Vetterli für die Neubewaffnung der Infanterie und der Dragonerschwadrone anzunehmen.
Zur Familie der Vetterli-Repetierer gehörten 15 unterschiedliche Modelle von Infanteriegewehren, Stutzern und Karabinern für die Kavallerie. Letztere wurde auch vom Zoll und von der Polizei verwendet. Am 20. Februar 1871 erfolgte bereits mittels bundesrätlichem Beschluss die erste Revision des Vetterli-Gewehrs zur Ordonnanz 1869/1871. Das vorliegende Exemplar kam 1874 zur Ausrüstung der Schweizer Armee, was aufgrund seiner Waffennummer feststellbar ist.
Die Firma SIG fertigte ab 1871 Vetterli-Gewehre für den zivilen Markt an. Solche Waffen, wie das vorliegende Exemplar, kauften lokale Büchsenmacher ein, und bauten die Gewehre nach den Wünschen ihrer Kunden (Sportschützen und Jäger) um.

Der Karabiner, ein Gewehr mit kurzem Lauf, war ursprünglich in der Kavallerie im Einsatz. Der Begriff «Karabiner» stammt aus dem 17. Jh. und bezieht sich auf das französische Wort «Carabine», womit eine Reiterflinte bezeichnet wurde. Da der Karabiner in der Regel mit einem kürzeren Lauf (um 100 cm) als die Infanteriegewehre der Vergangenheit (etwa 140 cm) ausgestattet war, eignete er sich für die Handhabe auf dem Pferd besonders gut. Karabiner konnten als Vorderlader mit einer Steinschloss- oder Perkussionszündung und als Hinterlader für Metallpatronen konstruiert worden sein.

Die vorliegende Waffe schenkte Maria Katharina Leumann-Sulzer, die Witwe von Ständeart Leumann, zusammen mit dessen Uniform und Säbel 1919, nach dem Tod ihres Gatten, dem Museum. Maria Katharina Sulzer heiratete 1874 Johann Georg Leumann, wobei sie nicht nur in eine Fabrikantenfamilie einheiratete, sondern auch aus einer stammte, denn ihr Vater war Salomon Sulzer, der Begründer der gleichnamigen Winterthurer Giesserei.
SIG (Schweizerische Industrie-Gesellschaft), Hersteller von Waffen, Automobilen und Waggons, gegründet 1853 in Neuhausen (SH)
um 1870
L. 96.5 cm, Lauf L. 49 cm
Stahl, brüniert; Eisen; Nussbaumholz
Wg 300
Erhard Clavadetscher, Zwei Thurgauer Waffenpioniere, Friedrich Vetterli und Friedrich von Martini, in: Thurgauer Jahrbuch 38. Jg., 1963, S. 7–18.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Oskar Krebs, Christian Reinhart, Handfeuerwaffen System Vetterli (Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 3), Dietikon-Zürich 1970, S. 57.

Ernst Grenacher, Schweizer Militärgewehre Hinterladung 1860–1990, 2015, S. 111–125, 256–262.
Schlagwörter: Militaria, Hauswirtschaft, Freizeit, Sport, Jagd , Waffen, Industrie