Skulptur: Die Geburt von Jesus Christus, vermutlich aus dem Dominikanerinnenkloster St. Katharinental bei Diessenhofen, sogenannte Liebenfelser Weihnachtsgruppe

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Das Schnitzwerk spiegelt Andacht und Bewegtheit mystisch-religiösen Erlebens. Maria liegt auf einer Lagerstatt und hält das neugeborene Christkind in ihren Armen. Ochse und Esel in der Mitte zupfen das Laken zurecht. Josef stützt sich auf seinen Wanderstab und betrachtet die innige Szene zwischen Mutter und Kind. Der Faltenwurf und die ondulierenden Säume lenken das Auge des Betrachters zum in Sanftheit und Ruhe gestalteten Zentrum auf der linken Reliefseite.

Vermutlich stammt das Weihnachtsrelief aus dem Dominikanerinnenkloster St. Katharinental, das zu seiner Blütezeit um 1300 Hochburg mittelalterlicher Mystik war. Die intensive Bildbetrachtung war auslösendes Element religiöser Erfahrungen und Visionen der Klosterfrauen.
Vom gleichen Künstler, der in der Nachfolge der Werkstatt von Meister Heinrich steht, ist ein Kruzifix in der Klosterkirche verblieben.

Die Krippendarstellung wurde wahrscheinlich jeweils zur Weihnachtszeit in der Kirche aufgestellt. Nach der Aufhebung des Konvents 1869 gelangte sie auf Schloss Liebenfels.
1924 erwarb die Thurgauische Museumsgesellschaft von Frau Lüthi aus Stein am Rhein die Skulptur. Lüthi war die Verwalterin von Schloss Liebenfels, das seit 1855 im Besitz der Familie Bebié war. Der letzte Standort des Werks vor der Überführung ins Museum führte zur behelfsmässigen Benennung des Konstanzer Bildschnitzers als «Liebenfelser Meister».

Womöglich gehörte das Schnitzwerk zur Versteigerungsmasse des Dominikanerinnenklosters am Rhein. Mehrere Veräusserungsaktionen sind in den Quellen überliefert. So fand eine Fahrnisgant am 4. Juli 1870 in St. Katharinental statt. Im Regierungsratsprotokoll ist für 1873 der Verkauf «einer Darstellung der Krippe zu Bethlehem» zum Preis von CHF 4.–aufgeführt. Ob es sich dabei um das Weihnachtsrelief handelt, ist jedoch ungewiss.
Im Oktober 1875 wiederum erwarb der Basler Antiquar Elie Wolf einen grossen Teil der Kirchenausstattung des Klosters.
Liebenfelser Meister (tätig um 1330–1340), Bildschnitzer / Kreis der Werkstattnachfolge von Meister Heinrich in Konstanz (1. Hälfte 14. Jh.)
1330/1340
H. 68, B. 63, T. 16 cm
Eichenholz, geschnitzt, Spuren einer Fassung
TD 1
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Schlagwörter: Skulptur, Kunsthandwerk, Kloster, Kirche, Brauchtum