Stutzer, Hinterlader nach dem System Martini, Schützenwaffe mit Senkblockverschluss, Ehrengabe am Eidgenössischen Schützenfest 1872 in Zürich

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Achtkantiger gezogener brünierter Lauf. Quadrantenvisier für Stellung von 200 bis 800 m, Rechteckkorn mit Schwalbenschwanz aus einem Guss. Ovaler Abzugsbügel mit Fingerhaken, Repetierbügel, Stecherabzug. Kolbenkappe mit Stellhorn und -schraube. Schmale ovale Riemenbügel, vorne am Lauf, hinten am Kolben mittels Schraube in Tülle, auf Konsole bzw. Montageband angelötet. Eine Schiebehalterung im Vorderschaft.
Halbschaft aus Schwarznussbaumholz mit Handauflage aus Verschnitt in Fischhautmusterung sowie mit erhabenem Schnitzwerk auf fein gepunztem Grund: Schweizerkreuz in Oval und geschweiftem Schild auf Vorderschaft sowie beidseitig des Kolbens Rankenwerk, auf einer Seite mit Putto, auf anderer Seite heimkehrender Schütze mit Pokal und seinem das Gewehr tragenden Sohn, die von der Hausherrin und dem herbei springenden Hund in der Stube empfangen werden. Kolben mit gerundetem Wangenkissen links.
Auf rechter Kolbenseite zweifach verschraubte Silberplakette mit Gravur «EHRENGABE ZUM EIDGEN. SCHÜTZENFEST 1872».
Beidseitig am Schaft je vorne und hinten flache kantig gezogene, halbrunde Fläche in der Verlängerung des Verschlusskastens (typische Gestaltung bei Martini-Gewehren, in Form einer Rahmung des Verschlusskastens).

Schläge: Auf Lauf Fabrikationsnummer «2154». Herstellerangabe auf Verschlusskasten «MARTINI, TANNER & CO. FRAUENFELD», «MARTINIS PATENT» und nochmals Fabrikationsnummer «2154».

Kaliber 10.5 mm
Beispiel eines seit 1869 an Schützenfesten gebräuchlichen, sogenannten Martini-Stutzers. Schusswaffen mit dem System, das Friedrich von Martini konstruiert hatte, kamen 1869 in Zug erstmals an einem Eidgenössischen Schützenfest zum Einsatz.
Der in Ungarn geborene Konstrukteur und Erfinder Friedrich von Martini (1833–1897) studierte in Wien und Karlsruhe bevor er beim Unternehmen Sulzer in Winterthur im Konstruktionsbüro tätig war. 1863 übernahm er gemeinsam mit Heinrich Tanner (1832–1898), dem technischen Leiter der Maschinenbauanstalt Frauenfeld, die dortige mechanische Werkstätte Sulzberger & Pfister und entwickelte daraus das Unternehmen Martini & Tanner, das sich auf die Herstellung von Buchbinde- und Textilmaschinen, Motoren und Waffen spezialisierte. Ab 1865 arbeitete Martini an einer Weiterentwicklung des Peabody-Gewehrs, das er unter dem Namen Peabody-Martini-Gewehr anbot. Dabei verbesserte er das Zündsystem und änderte den Auswurf der Patronenhülsen nach dem Abschuss. Mit seinen Peabody-Martini-Standschützengewehren konnten Patronen des Vetterli-Gewehrs verschossen werden. Das Peabody-Gewehr mit dem Martini-Zündsystem wurde ab 1871 auch bei den britischen Streitkräften unter der Bezeichnung Martini-Henry-Gewehr eingeführt.
Stand- oder Scheibenstutzer waren präzise Waffen mit Stecherabzug für das sportliche Schiessen in einem Schiessstand. Sie erlebten im 19. Jh. grosse Popularität bei den zahlreichen Schützenfesten, die überall in der Eidgenossenschaft durchgeführt wurden.
Martini, Friedrich von (1833–1897), Büchsenmacher in Frauenfeld
1872
L. 123 cm, Lauf L. 79.5 cm
Stahl, brüniert (Lauf), Eisen, gebläut (Garnitur); Schwarznussbaumholz, geschnitzt, punziert
T 3040
Maurus August Feierabend, Geschichte der eidgenössischen Schützenfeste von der Gründung derselben im Juni 1824 in Aarau bis und mit der Jubelfeier im Juli 1874 in St. Gallen, Aarau 1875, S. 172–179.

Erhard Clavadetscher, Zwei Thurgauische Waffenpioniere (Thurgauer Jahrbuch, Bd. 38), 1963, S. 15–18.

Hans Brüderlin, Martini, Friedrich von, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 298–299. https://www.deutsche-biographie.de/pnd119257904.html#ndbcontent, aufgerufen am 22.04.2024.

Bruno Meyer, Friedrich von Martini, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 10.11.2011. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/030490/2011-11-10/, aufgerufen am 22.04.2024.

Dirk Ziensig, Martini-Henry-Gewehre aus Witten an der Ruhr, Waffen und Kostümkunde (Zeitschrift für Waffen- und Kleidungsgeschichte, Heft 2), 2011, S. 167–210.

Stephen Manning, The Martini-Henry Rifle, 2013.

Angelus Hux, Eine neue Zeit kommt nach Frauenfeld, Ein Kulturmosaik des 19. Jahrhunderts, Frauenfeld 2024, S. 212.
Schlagwörter: Vereinswesen, Sport, Anlässe, Freizeit, Hauswirtschaft, Persönliche Accessoires, Waffen, Genre, Industrie, Gewerbe