Infanteriegewehr mit Kippklappverschluss, Hinterlader nach dem System Milbank-Amsler, eidgenössisches Modell 1842/1859/1867

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Aus einem Vorderlader mit Perkussionsschloss umgeänderter Hinterlader nach dem System Milbank-Amsler.

Runder Lauf mit vier Zügen. Leiervisier und Linsenkorn auf Lauf. Bajonettnocken. Schlosshahn mit geriffeltem Hahnsporn (Griffoptimierung). Eisengarnitur mit drei Bändern, Abzugsbügel, Seitenplatte und Kolbenkappe. Zwei Bügel für den Tragriemen. Eiserner Putzstock mit kegelförmigem Kopf. Vollschaft. Kolben mit Kolbennase und geradem Abschluss. Hölzerner Laufdeckel mit Bleikopf und Ösengriff sowie Lederbesatz.

Schläge: Auf Verschlussgehäuse der Hersteller «Geb. Sulzer». Auf Lauf St. Galler Wappen (Zeughausstempel St. Gallen, Besitzer) und die Waffennummer «4187», diese ebenso auf Kolben sowie «St. Gallen». Auf Visier «81». Schlossplatte und -blech, alle Bänder, Putzstock, Kolbenplatte sowie Abzugsbügelblatt je mit bekröntem «BF» für den Hersteller Beuret Frères. Kontrollstempel des eidg. Inspektors in Form von Schweizerkreuz und je «V» auf Lauf und mehreren Teilen des Verschlussgehäuses (Kontrollpunze ab 1896, ev. von Inspektor Oberst Vogelsang, im Einsatz 1879–1912). «B» auf mehreren Schrauben.
Jeder Schweizer Kanton war für die Bewaffnung seiner Infanteristen selbst verantwortlich. Im Thurgau bezog ein Soldat ab 1826 seine Waffe gegen Bezahlung vom Zeughaus in Frauenfeld, das 1820–1822 eingerichtet worden war. Bis zur Einführung des Bundesheers 1874 trugen die Soldaten die Kosten für ihre Ausrüstung grösstenteils selbst. Wehrmänner, die sich keine eigene Waffe leisten konnten, bekamen diese leihweise vom Zeughaus ausgehändigt.
Hersteller der Gewehre waren hauptsächlich Manufakturen in Frankreich und Belgien, so wie bei diesem Exemplar die Firma Beuret Frères, Hauptlieferant für Schweizer Armeewaffen. Solche Waffen erfuhren aufgrund der Bestimmungen der Bundesbehörde mehrmals Abänderungen, wobei viele der mit dem Stempel des belgischen Herstellers versehenen originalen Teile erhalten blieben. Beuret Frères war in Lüttich (französisch Liège) ansässig. In dieser belgischen Stadt entwickelte sich seit dem 16. Jh. ein blühendes Gewerbe der Waffenschmiede. Stellten die Produzenten zuerst Kanonenläufe und Kugeln her, fertigten sie ab dem 17. Jh. Bestandteile für Handfeuerwaffen an. Ab 1672 prüfte ein offiziell bevollmächtigter Kontrolleur die Qualität der Läufe und versah sie mit einem gepunzten Gütezeichen (Beschau), das die Qualität der Ware garantierte. Jedoch erst ab 1810 durften nur noch begutachtete Produkte ausgeliefert werden. Die Waffenschmiede führten ihre Arbeit im Auftrag von Zwischenhändlern aus, die den Kontakt zu den Kunden hatten.

1859 beschloss die Schweizerische Bundesversammlung die Gewehre der Fusstruppen, die dafür geeignet waren, zu Waffen mit gezogenen Läufen ertüchtigen zu lassen, womit die Reichweite des Schusses optimiert werden konnte. Alle Rollgewehre – Waffen mit glatten Läufen – der bisherigen Ordonnanz mit Kaliber 18 mm sollten daher nach dem System Prélaz-Burnand umgebaut werden. Edouard Burnand (1814–1892) war Oberst und Waffenchef der Schweizer Artillerie und 1857–1870 Direktor der Waffenfabrik Neuhausen (SH). Zusammen mit seinem Kompagnon Jean-Louis Joseph Prélaz (1819–1868), einem Waffenmechaniker, entwickelte er die Konstruktion für den Umbau der Vorderlader mit glattem zum gezogenem Lauf, welcher die Schussdistanz von 200 auf 800 Schritt wesentlich erhöhte. Diese Aufrüstung erforderte den Austausch der bis dahin gebräuchlichen Kimme gegen ein regulierbares Leiervisier, das aufgelötet wurde. Ursprünglich sollte diese Transformation eine Zentralwerkstätte in Zofingen ausführen, welcher die Kantone die Gewehre zur Umrüstung abzuliefern hatten. Dieses Vorhaben konnte nicht erfolgreich zu Ende geführt werden, weshalb sich auch kantonale Zeughäuser und private Büchsenmacher, unter der Kontrolle eidgenössischer Inspektoren, am Projekt beteiligten. Von den Thurgauer Vorderladern konnten 379 in Zofingen zu Hinterladern transformiert werden. 600 Stück kamen in den Thurgau zurück und wurden hier von den Waffenschmieden ertüchtigt.
1867 wurden die Waffen nochmals abgeändert und optimiert. Diese Transformation war ein umfangreiches Projekt, wovon über 100 000 Gewehre betroffen waren. Ausschlaggebend war mitunter der Preussisch-Österreichische Krieg von 1866, der die Überlegenheit der Hinterlader vor Augen führte. Deshalb wurden alle klein- und grosskalibrigen Gewehre (10.5 mm und 18 mm) zu einschüssigen Hinterladern umgebaut. Diese Abänderungen zum Hinterlader nach dem System Milbank-Amsler war von eminenter Bedeutung. Sie ermöglichte eine wesentlich andere Kampfführung im Feld sowie das Laden in kniender oder sogar liegender Position. Mit diesem System des Mathematikprofessors Jakob Amsler-Laffon (1823–1912) aus Schaffhausen auf der Basis des amerikanischen Konstrukteurs J. M. Milbank konnte in die bestehenden Vorderlader ein Klappverschluss eingebaut werden, welcher das Laden von hinten mit einer Metall-Patrone ermöglichte. Mit diesen Neuerungen und der Randfeuerpatrone (Einheitspatrone mit Metallhülse) erhöhte sich die Schusskadenz von 3 auf 7 bis 12 Schuss in der Minute erheblich.

Die Transformation zum Hinterlader erfolgte bei vorliegendem Modell durch die Firma Sulzer in Winterthur, die etwas über 27 000 Gewehre mit dem Verschluss-System Milbank-Amsler aufrüstete.
Beuret Frères, Waffenhersteller in Liège (Lüttich, BEL)

Gebrüder Sulzer, Giesserei, gegründet 1834 in Winterthur
um 1842–um 1872
L. 147 cm, Lauf L. 101 cm
Stahl, Eisen, Nussbaumholz, Blei, Leder
Wg 266
Die schweiz. Ordonnanz-Hinterladergewehre, seit 1867, in: Schweizer Soldat, Monatszeitschrift für Armee und Kader mit FHD-Zeitung, Bd. 4, Heft 11, 1928–1929, S. 251–252, 261–262.

Albert W. Schoop, Geschichte der Thurgauer Miliz, Frauenfeld 1948.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Eidgenössische Handfeuerwaffen(Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 2), Dietikon-Zürich 1979, S. 26–38, 74, 169–174.
Schlagwörter: Militaria, Waffen, Industrie