Siegelpresse: Handspindelpresse zur Herstellung von Papiersiegeln der Verwaltung des Kantons Thurgau, Konstruktion mit Löwenskulptur

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Aufrecht sitzender schwerer Löwe mit eingesetzten Glasaugen, zwischen den Hinterbeinen liegender Sockel mit zwei Verankerungslöchern und mit den Pranken die balusterförmige vertikale Führung der Spindelschraube haltend. In die Führung eingesetzte Spindelschraube, die mit dem horizontalen Schwungarm mit kugelförmigen Schwunggewichten verschraubt ist. Auf dem Mittelring des Schwungarms die Jahreszahl «1844.» graviert. Auf dem Gehäuse der Spindelschraube aufgesetzter gegossener Adler mit Donnerkeil, der mittels einer Schraube locker mit dem Gehäuse der Spindelschraube verbunden ist. Leere Befestigungslöcher auf Schwanzfedern des Adlers und auf dem Gehäuse der Spindelschraube erkennbar. Löwe und Adler goldfarben, Sockel und Führung milchgrün gefasst. Die polychrome Bemalung (Fassung) in den Kantonsfarben stimmt mit der originalen Farbgebung überein, die anlässlich der Restaurierung der Presse 1974 mittels einer Untersuchung analysiert werden konnte.

Der am unteren Ende der Spindelschraube eingesetzte Siegelstempel wird, dank der Fliehkraft der Gewichte an den Enden des Schwungarms, über die mit ihm verbundene Spindelschraube abgesenkt und mit Kraft in die Siegelmasse – Siegeloblate aus befeuchtetem Mehlteig mit Papierabdeckung – gedrückt, damit regelmässige und scharfe Abdrücke des Siegelstempels entstehen. Dabei sorgt die Fliehkraft der Schwunggewichte und deren vertikale Übertragung auf die Spindelschraube für den nötigen gleichmässigen Druck.
In der Staatsrechnung 1803/04 des Kantons Thurgau finden sich mehrere Ausgabenposten in Zusammenhang mit der Herstellung der vorliegenden Presse. So erhielt u.a. der Bürger Lenter (?) (unsichere Lesung des Namens), Hammerschmied zu Gottlieben, am 31. März 1804 für die Arbeiten an der Stempelpresse 134 Gulden und 45 Kreuzer und am 11. April 1804 weitere 17 Gulden für die gelieferte Spindel zur Presse.
Auffallend bei der vorliegenden Handspindelpresse ist die wuchtige Konstruktion mit den massiven Schwunggewichten, die für eine Siegelpresse überdimensioniert erscheinen. Auch der gesteigerte Anspruch an Repräsentation ist bemerkenswert, welcher durch den massiven goldfarben gefassten Thurgauer Löwen zum Ausdruck kommt. Die im Mittelring des Schwungarms gravierte Jahreszahl «1844.» weist wahrscheinlich auf einen Umbau der Presse in diesem Jahr hin.

Der heutige Zustand des Objekts erweckt den Eindruck, als wäre die ursprüngliche Siegelpresse einige Male verändert und aus Originalteilen wie auch neuen Werkstücken zusammengesetzt worden, ohne Rücksicht auf die Funktion der Presse. Denn sowohl der blockierte Schwungarm als auch die Spindelschraube, deren blindes Ende (glatte Unterseite) den Gebrauch von mobilen, ans Ende der Spindelschraube einzusetzenden Siegelstempeln verhindert, belegen diesen Umstand.
Als ein weiteres, möglicherweise später hinzugefügtes Versatzstück erscheint der auf dem Gehäuse der Spindelschraube thronende Adler mit Donnerkeil, der als Emblem des französischen Kaiserreichs nicht zur Selbstdarstellung eines unabhängigen Schweizer Kantons passt. Auch wenn der Kanton Thurgau seine Entstehung der Mediationsakte Napoleons verdankt, so blieb das Verhältnis der Schweiz zum französischen Kaiserreich, als dessen Satellitenstaat sie immer wieder neue Forderungen zu erfüllen hatte, während der ganzen Mediationszeit (1803–1813) angespannt.
Vermutlich diente die Presse ab einem gewissem Zeitpunkt einzig der Repräsentation.
1804/1844
H. 46, B. 56, T. 16 cm
Eisen, gegossen, geschmiedet, geschnitten, teilweise ziseliert, verschraubt; Bronze, gegossen, ziseliert; Glas, gegossen, eingesetzt; polychrom modern gefasst
T 9502
Erste Staatsrechnung für den Canton Thurgau vom 25. April 1803 bis 25. April 1804. Staatsarchiv Thurgau (StATG) 4'305'0, S. 66.

Margrit Früh, Führer durch das Historische Museum des Kantons Thurgau im Schloss Frauenfeld, Ausstellungskatalog, 2. erneuerte Auflage, Frauenfeld 2001, S. 85.
Schlagwörter: Sphragistik, Staatliche Institutionen, Kommunikation, Justiz, Heraldik, Tier, Skulptur