Steinschlossgewehr der Thurgauer Infanterie, Vorderlader der kantonalen Truppe, eidgenössisches Modell 1817, mit Stichbajonett

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Vermutlich handelt es sich um ein Musterstück für die Produktion im Zeughaus oder für die örtlichen Büchsenmacher.

Runder glatter Lauf. Laufmündung mit Bajonettnocken. Schlosspfanne aus Messing. Schlosshahn mit Feuerstein zwischen Lederstück. Eisengarnitur aus drei Bändern, Abzugsbügel, Seitenplatte und Kolbenkappe. Laufbefestigung mit Bandfedern. Zwei Bügel für den Tragriemen. Linsenkorn aus Messing auf Vorderband. Eisenladestock mit kegelstumpfförmigem Kopf. Voller Nussbaumholzschaft. Kolben mit Backenausschnitt links, Kolbennase und geradem Abschluss.
Tüllenbajonett mit Dreikantklinge.

Schläge: Auf Lauf zweimalige Beschussmarke amtlicher Prüfung «E. L. G.» für Epreuve Liège (Lüttich, BEL) und «30» (alte Waffennummer). Auf Schaft «30», zwei Mal «292» (neue Waffennummer), «19» sowie «G» und «N». Auf Schlossplatte bekröntes «T», auf Seitenplatte bekröntes «C». Auf Vorderband «23», auf Mittelband «LD» auf Hinterband «JR». Kolbenkappe mit «C». Ladestock mit zwei nicht lesbaren Punzen und «P».
Auf Lauf und Schaft Kontrollpunzen des kantonalen Inspektors in zwei verschiedenen Ausführungen «TH» sowie in Oval «CT».
Auf Bajonett «BF» mit Krone darüber für den Hersteller Beuret Frères. Waffennummer «13». «PO»?.

Kaliber: 17.5 mm

Die Waffe wurde unter Verwendung eines in Liège angefertigten Laufs aus der Zeit um 1800 und mit eisernen Garniturteilen unterschiedlicher Fertigung hergestellt. Das Schloss stellte der belgische Fabrikant Beuret Frères her, der Hauptlieferant für Schweizer Armeewaffen. Das Steinschloss ist eine Version des französischen Schlossmodells von 1777, das 1801/02 optimiert wurde. Es entsprach dem eidgenössischen Reglement von 1817 und wurde im Thurgau 1820 eingeführt.
Die Anfertigung von Militärschusswaffen aus gebrauchtem Material war in der Schweiz bis in die Zeit um 1820 ein übliches Vorgehen. Anfangs vor allem aus Mangel an Bestandteilen wie Läufen und Schlössern sowie aus Ersparnisgründen, wurden derartige Gewehre in den Werkstätten der kantonalen Zeughäuser oder von einheimischen Büchsenmachern im Auftrag der milizpflichtigen Wehrmänner produziert. Denn bis zur Einführung des Bundesheers 1874 trugen die Soldaten die Kosten für ihre Ausrüstung grösstenteils selbst.
Wehrmänner, die sich keine eigene Waffe leisten konnten, bekamen diese leihweise vom Zeughaus in Frauenfeld ausgehändigt. Sowohl die Gewehre in Staats- wie in Privatbesitz waren mit dem Thurgauer Kantonsschlag versehen, der in drei Varianten vorliegt: «CT», «TH» und «CTH». Die mit solch einer Markierung bezeichneten Waffen entsprachen der behördlichen Vorschrift hinsichtlich der Beschaffenheit der Gewehre (Ordonnanzen). Ein erster solcher Beschluss erfolgte im Thurgau 1804 durch die kantonale Militärverwaltung. Zur Revision dieser Vorschriften bezüglich Beschaffenheit der Soldatenausrüstung kam es 1817, nun mittels einer eidgenössischen Ordonnanz. Folglich liess die eidgenössische Militäraufsichtsbehörde Modelle von Schuss- und Griffwaffen sowie von Uniformen und Ausrüstungsteilen anfertigen, damit die Büchsenmacher, Sattler und Schneider in den Kantonen die gewünschten Stücke in ihrer Werkstatt oder im Zeughaus herstellen konnten. Die Gewehre vom Modell 1817 blieben über Jahrzehnte im Einsatz, erfuhren 1842 und 1859 eine Ertüchtigung und gehörten bis zur Einführung des Vetterli-Gewehrs Anfang der 1870er-Jahre zur Bewehrung der Schweizer Armee. Mit der Aussortierung dieser teilweise über 60 Jahre alten Stücke hörte auch die kantonale Kontrolle der Waffen und damit die Anbringung des Kantonsschlags auf. Fortan lag die Prüfung der Gewehre in den Händen der eidgenössischen Experten, welche die von ihnen erprobten Waffenteile mit Punzen versahen, die oftmals aus dem Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens bestanden.
Beim vorliegenden Stück handelt es sich um ein Gewehr, das nach den eidgenössischen Bestimmungen von 1817 angefertigt wurde und nie einen Umbau erfuhr. Es dürfte sich um eine Vorlage handeln, an welcher sich die Thurgauer Büchsenmacher orientieren konnten.
Beuret Frères, Waffenhersteller in Liège (Lüttich, BEL)
1820–um 1842 im militärischen Einsatz
L. 147 cm, Lauf L. 108.2 cm; Bajonettlänge: 58.5 cm
Stahl, Eisen, Messing, Nussbaumholz, Feuerstein, Leder
T 40339
Albert W. Schoop, Geschichte der Thurgauer Miliz, Frauenfeld 1948.

Schweizerischer Schützenverein (Hrsg.), Hand- und Faustfeuerwaffen, Schweizerische Ordonnanz 1817 bis 1967, Frauenfeld 1971, S. 20.

Eugène Heer, Der neue Stöckel, Bd. 3, Schwäbisch Hall 1982, S. 1620–1629 (Liège).

Kriss Reinhart, Jürg A. Meier, Pistolen und Revolver der Schweiz seit 1720, Dietikon-Zürich 1998, S. 96–98, 102.
Schlagwörter: Militaria, Gewerbe, Waffen, Gewerbe