Wachsporträt: Johann Heinrich Spengler-Herzog (1821–1865), Gerber im Hasli in der Gemeinde Wigoltingen

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Halbfigurenstück im Profil nach links, in rundem Ausschnitt. Der Porträtierte trägt ein eng anliegendes schwarzes Jackett (Schweizerdeutsch Tschoope) mit breitem fallendem Revers im Stil des Biedermeiers der 1820er–1830er-Jahre, ein weisses Hemd und ein schwarzes Halstuch mit schwarzer Fliege. Auf Brusthöhe steckt ein glänzendes Accessoire, wohl eine silber- oder goldgefasste Brosche. Sein braunes Haar ist seitlich in kurzen Koteletten und akkurat in horizontalen Strähnen am Kopf anliegend frisiert, in der Mitte über der Stirn steht es leicht ab. Spengler hat markante eckige Geheimratsecken und einen Schnurrbart.
Das Relief liegt vertieft, auf einer runden schwarzen Platte angebracht, in einem Holzkasten hinter Glas. Die Front des 3 mm über dem Glas liegenden Kastendeckels ist schwarz lackiert, die Seiten des Kastens konisch nach hinten verjüngt. Die Rückseite mit Papierabdeckung, darüber zwei Klebeetiketten mit handgeschriebenen Angaben zur Donatorin «Dem thurguischen Museum / geschenkt von Ida Spengler / Ernst Spengler Weinfelden» und zum Porträtierten «Herr Johann-Heinrich Spengler-Herzog Gerber im Hasli Gemeinde Wigoltingen 1821–1865». Runde Öse aus Draht für Aufhängung.
Die Lederwaren von Johann Heinrich Spengler überzeugten die Preisrichter an mehreren Gewerbeausstellungen, die ab der 2. Hälfte des 19. Jhs. regelmässig veranstaltet wurden. 1850 fand ein solcher Anlass erstmals im Thurgau statt und zwar in Frauenfeld. Hier gewann Spengler den 2. Preis für solide gearbeitetes günstiges Sohlleder. Mit einem Diplom erster Klasse für Sohlleder aus Kuhhaut wurde er sechs Jahre später, wiederum in Frauenfeld, und 1876 an der Gewerbe- und Industrieausstellung in Kreuzlingen gewürdigt.

Aus Wachs geschaffene Bildnisse kamen im 18. und 19. Jh. in bürgerlichen Kreisen auf. Die kleinformatigen Porträts faszinierten aufgrund der feinteiligen und detaillierten sowie äusserst realistischen Abbildung der Dargestellten. Wachs bot dabei die Möglichkeit, die Haut lebensecht und natürlich aussehen zu lassen. Weitere Materialien wurden zur Gestaltung der Büsten und Halbfiguren verarbeitet, um dem Porträt eine lebendige Präsenz zu verleihen. So kamen für die Augen Glasperlen und für die Pupillen Samen zur Anwendung, Letztere wurden nach dem Einsetzen lackiert. Auch Echthaar, Textilien für die Kleidung und Metallfolien zur Darstellung von Schmuck wurden appliziert. Das Grundmaterial bestand aus Bienenwachs sowie Harz und wurde mit Pigmenten gefärbt. In einem letzten Arbeitsschritt wurden die fertig geformten und auf einem Träger angebrachten Bildnisse hinter einem schützenden Glas in einem Holzkasten mit Rahmen montiert. Die Plastiken schufen Wachsbossierer d.h. Künstler, die aus Wachs eine Form modellierten. Diese Fertigkeit lernten sie in der Regel in einem vergleichbaren, dem plastischen Gestalten verpflichteten Handwerk wie der Porzellanmodellierung, der Schmiedekunst oder der Bildhauerei. Aus der Ostschweiz sind zwei, in dieser Technik bewanderte Porträtisten bekannt. Beide stammen aus der in Rickenbach bei Wil beheimateten Familie Heuberger, wobei der Erfolgreichere, der in Stuttgart ansässige Franz Xaver Heuberger (1791–1863?), in Süddeutschland und sein Stiefbruder Josef Gregor Heuberger (1779–1855) in Rapperswil tätig waren. Ersterer fertigte raffinierte, künstlerisch bedeutende Werke an, weshalb zu seiner Kundschaft gehobene Kreise zählten. Josef Gregor Heuberger erlangte nicht die Virtuosität seines Stiefbruders. Seine Werke zeichnen sich durch Routine aus, die keine aufwändig modellierten oder bemalten Details aufweisen. Er goss seine Porträts und formte freihändig individuelle Züge, bevor sie auf einer Schieferplatte angebracht und in einem schwarzen Rahmenkasten zu liegen kamen.
Heuberger, Josef Gregor (1779–1855), Wachsbossierer
Mitte 19. Jh.
D. 10.2 cm, H. 15, B. 13.5 cm
Wachs, bossiert; Holz, lackiert; Glas; Papier
T 2839.2
Bericht über die erste thurgauische Gewerbe-Ausstellung in Frauenfeld, hrsg. von der thurgauischen Gemeinnützigen Gesellschaft (Thurgauisches Neujahrblatt, Bd.12), Frauenfeld 1850, S. 23. https://www.e-rara.ch/kbt/content/zoom/29687133?query=spengler, aufgerufen am 16.08.2025.

Bericht über die zweite thurgauische Gewerbe-Ausstellung in Frauenfeld, Frauenfeld 1856, S. 48.

Gottlieb Amstein, Die Geschichte von Wigoltingen, Weinfelden 1892, S. 25–26.

Paul Oberholzer, Die Wachsbossierer Heuberger von Rickenbach bei Wil, in: Zeitschrift für Archäologie und Kunstgeschichte (ZAK), Bd. 38, Heft 3, 1981, S. 202–230.

Elisabeth Taube, Alles nur Wachs?, Eine kunsttechnologische Studie zu kleinformatigen Wachsbildnissen des 18. Jahrhunderts im Germanischen Nationalmuseum, in: conserva, 2022, Heft 2. https://doi.org/10.57908/cons.2022.2, aufgerufen am 17.09.2024.
Schlagwörter: Relief, Kunsthandwerk, Porträt, Hauswirtschaft, Wohnen, Andenken