Petschaft: Ovaler Siegelstempel des Kantonsgerichts des Kantons Thurgau, mit Handhabe

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Vs.: «HELVETISCHE REPUBLICK .», spiegelverkehrt, Wilhelm Tell in «altschweizerisch-vaterländischer Tracht» (Söldnerkleidung mit geschlitzten Beinkleidern und geschlitztem Wams) mit Federhut, Schwert und Köcher nimmt seinen Sohn Walter in die Arme, der den mit einem Pfeil durchschossenen Apfel in die Höhe hält, daneben Armbrust an Baumstumpf mit frisch austreibendem Eichenzweig gelehnt, darunter zweizeiliger Schriftzug: «CANTONS GERICHT / THURGAU», spiegelverkehrt. Aussen ovale Perlrahmung.
Rs.: Handhabe aus einem hohen hölzernen, zylinderförmigen Griff, welcher unten in ein Schraubgewinde übergeht, an welchem die ovale Siegelplatte aus Kupfer mit einem Dorn befestigt ist. Die Handhabe ist der obere Teil einer Aufbewahrungsdose, dessen unterer Teil fehlt. Oben am Griff nachträglich angebrachte kleine Einkerbung zur Ausrichtung der Siegelplatte beim Siegeln.

Zur Darstellung Wilhelm Tells zur Zeit der Helvetik vgl. Balázs Kapossy.
Die Gerichtsorganisation der Helvetischen Republik war nach französischem Vorbild hierarchisch aufgebaut. Während das Distriktgericht auf unterster Ebene Zivil- und Strafsachen, mit Ausnahme schwerer Straftaten, verhandelte, spielte das Kantonsgericht sowohl als Appellationsinstanz (Anfechtung eines Urteils des Distriktgerichts) als auch als erste Instanz bei der rechtlichen Beurteilung schwerer Strafsachen eine wichtige Rolle. Der oberste helvetische Gerichtshof wiederum war sowohl Kassationsinstanz in allen Zivil- und Strafsachen als auch Appellationsinstanz bei den durch die Kantonsgerichte verhandelten schweren Strafsachen. Zudem beurteilte es schwere Verbrechen wie etwa Landesverrat.

Das dreizehnköpfige Kantonsgericht wurde von kantonalen Wahlmännern gewählt, wobei der Gerichtspräsident vom Regierungsstatthalter eingesetzt wurde. Bei den Sitzungen des Kantonsgerichts konnte der Regierungsstatthalter als beratende Stimme anwesend sein. Obwohl die Mitglieder des Kantonsgerichts jederzeit durch das Direktorium (oberste Exekutivbehörde der Helvetik) abgewählt werden konnten, entsprach die Wahl durch die in den Urversammlungen auf Gemeindeebene gewählten Wahlmännern ersten demokratischen Ansätzen. Sowohl das Distrikt- als auch das Kantonsgericht tagten öffentlich, was eine wichtige Neuerung gegenüber den Gepflogenheiten im Ancien Régime darstellte.

Das Münzkabinett Winterthur besitzt eine umfangreiche Sammlung von Siegelabdrücken, geschnittenen Steinen und Medaillen von Vater Johann Aberli (1774–1851) und Sohn Jakob Friedrich Aberli (1800–1872). Darunter befindet sich der Abdruck des Siegelstempels des Regierungsstatthalters des Kantons Thurgau aus der Zeit der Helvetik. Er entspricht sowohl stilistisch als auch von der Darstellungsweise des Motivs dem hier vorliegenden Siegelstempel des Kantonsgerichts. Somit kann dieser Siegelstempel Johann Aberli aus Winterthur zu gewiesen werden.
Aberli, Johann (1774–1851), Medailleur, Steinschneider und Petschaftstecher, Winterthur
1798–1803
L. 5.8, B. 3.1, H. 3.4 cm
Kupfer, graviert, punziert; Buchsbaumwurzelmaser, gedrechselt
T 5894
Alfred Kölz, Neuere schweizerische Verfassungsgeschichte, Ihre Grundlinien vom Ende der Alten Eidgenossenschaft bis 1848, Bd. 1.1, Bern 1992, S. 120.

Benedikt Zäch, Zwei Winterthurer Medailleure: Johann (1774–1851) und Friedrich Aberli (1800–1872), in: Schweizer Münzblätter, Bd. 46, 1996, S. 124–136.

Samuel Netzer, Diessenhofen in der Helvetik 1798–1803 (Diessenhofener Beiträge zur Geschichte und Kultur, Bd. 1), Diessenhofen 1998, S. 25.

Balázs Kapossy, 2.33 Freiheitsheld als liebevoller Vater, in: Zwischen Entsetzen und Frohlocken, Vom Ancien Régime zum Bundesstaat 1798–1848, Ausstellungskatalog, Bernisches Historisches Museum, Bern 1998, S. 91.

André Salathé, 4.2. Die Helvetik im Thurgau 1798–1803, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.05.2017. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007393/2017-05-22/, aufgerufen am 24.08.2022.
Schlagwörter: Sphragistik, Kunsthandwerk, Staatliche Institution, Kommunikation, Justiz