Infanteriegewehr der Thurgauer Truppe, Vorderlader mit Perkussionsschloss, eidgenössisches Modell 1842/1859

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Runder Lauf mit vier Zügen, ab Kammerbereich oktogonal. Leiervisier mit Visiereinstellung bis 700 m. Linsenkorn. Bajonettnocken. Schlosshahn mit geriffeltem Hahnsporn (Griffoptimierung). Eisengarnitur mit drei Bändern, Abzugsbügel, Seitenplatte und Kolbenkappe. Laufbefestigung mit Bandfedern. Zwei Bügel für den Tragriemen. Eiserner Ladestock mit kegelstumpfförmigem Kopf. Vollschaft. Kolben mit geradem Abschluss.

Schläge: Auf Lauf und Schlossplatte Hersteller «A. Francotte Liège», Lauf mit Beschussmarke der Stadt Liège (Lüttich) amtlicher Prüfung «ELG» (Epreuve Liège) in Oval und Tatzenkreuz sowie Kontrollstempel des eidg. Inspektors in Form von Schweizerkreuz. «AF» (August Francotte) unter Krone je auf Lauf, Schlossblech, allen drei Bändern, Abzugsbügelblatt und Putzstock. «H» unter Krone je auf Lauf und Abzugsbügelblatt. Auf Kolbenhals ligierter Kantonsschlag «CT» in Oval (Kanton Thurgau, Kontrollpunze des kantonalen Inspektors) und die Waffennummer «2369».

Kaliber: 18 mm
Jeder Schweizer Kanton war für die Bewaffnung seiner Infanteristen selbst verantwortlich. Ab 1826 bezog ein Thurgauer Soldat seine Waffe gegen Bezahlung vom Zeughaus in Frauenfeld, das 1820–1822 eingerichtet worden war. Bis zur Einführung des Bundesheers 1874 trugen die Soldaten die Kosten für ihre Ausrüstung grösstenteils selbst. Wehrmänner, die sich keine eigene Waffe leisten konnten, bekamen diese leihweise vom Zeughaus ausgehändigt. Sowohl die Gewehre in Staats- wie in Privatbesitz waren mit dem Thurgauer Kantonsschlag versehen, der in drei Varianten vorliegt «CT», «TH» und «CTH». Die mit solch einer Markierung bezeichneten Waffen entsprachen der behördlichen Vorschrift hinsichtlich der Beschaffenheit der Gewehre (Ordonnanzen).
Lieferanten der Gewehre waren hauptsächlich Manufakturen in Frankreich und Belgien, so wie bei diesem Exemplar die Firma Francotte in Liège (BEL). Solche Waffen wurden gemäss den Bestimmungen der Bundesbehörde mehrmals umgebaut, wobei viele der originalen Teile, die mit dem Stempel des belgischen Herstellers versehen sind, erhalten blieben.
In der belgischen Stadt Lüttich entwickelte sich seit dem 16. Jh. ein blühendes Gewerbe der Waffenschmiede. Stellten die Produzenten zuerst Kanonenläufe und Kugeln her, fertigten sie ab dem 17. Jh. Bestandteile für Handfeuerwaffen an. Ab 1672 prüfte ein offiziell bevollmächtigter Kontrolleur die Qualität der Läufe und versah sie mit einem gepunzten Gütezeichen (Beschau), das die Qualität der Ware garantierte. Jedoch erst ab 1810 durften nur noch begutachtete Produkte ausgeliefert werden. Die Waffenschmiede führten ihre Arbeit im Auftrag von Zwischenhändlern aus, die den Kontakt zu den Kunden hatten.

1859 beschloss die Schweizerische Bundesversammlung die Gewehre der Fusstruppen, die dafür geeignet waren, zu Waffen mit gezogenen Läufen ertüchtigen zu lassen, womit die Reichweite des Schusses optimiert werden konnte. Alle Rollgewehre – Waffen mit glatten Läufen – der bisherigen Ordonnanz mit Kaliber 18 mm sollten daher nach dem System Prélaz-Burnand umgebaut werden. Edouard Burnand (1814–1892) war Oberst und Waffenchef der Schweizer Artillerie und 1857–1870 Direktor der Waffenfabrik Neuhausen (SH). Sein Kompagnon Jean-Louis Joseph Prélaz (1819–1868) war Waffenmechaniker. Die beiden entwickelten die Konstruktion für den Umbau der Vorderlader mit glattem zum gezogenem Lauf, welcher die Schussdistanz von 200 auf 800 Schritt wesentlich erhöhte. Diese Gewehre werden heute als Modell 1842/59 bezeichnet. Die Aufrüstung erforderte den Austausch der bis dahin gebräuchlichen Kimme gegen ein regulierbares Leiervisier, das aufgelötet wurde. Ursprünglich sollte diese Transformation eine Zentralwerkstätte in Zofingen ausführen, welcher die Kantone die Gewehre zur Umrüstung abzuliefern hatten. Dieses Vorhaben konnte nicht erfolgreich zu Ende geführt werden, weshalb sich auch kantonale Zeughäuser und private Büchsenmacher, unter der Kontrolle eidgenössischer Inspektoren, am Projekt beteiligten. Von den Thurgauer Vorderladern konnten 379 in Zofingen mit einem gezogenen Lauf nach dem System Prélaz-Burnand ausgestattet werden. 600 unbearbeitete Stücke kamen in den Thurgau zurück und wurden hier von den Waffenschmieden umgebaut. Die ertüchtigten Exemplare waren bis zur Einführung der Hinterlader ab 1867 in militärischem Einsatz.
Francotte, August, (*1805), Waffenhersteller in Liège (Lüttich, BEL)
um 1842–um 1867
L. 146 cm, Lauf L. 105.5 cm
Stahl, Eisen, Nussbaumholz
Wg 174
Albert W. Schoop, Geschichte der Thurgauer Miliz, Frauenfeld 1948.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Oskar Krebs, Christian Reinhart, Handfeuerwaffen System Vetterli (Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 3), Dietikon-Zürich 1970, S. 107.

Hugo Schneider, Michael am Rhyn, Eidgenössische Handfeuerwaffen(Bewaffnung und Ausrüstung der Schweizer Armee seit 1817, Bd. 2), Dietikon-Zürich 1979, S. 26–28, 53, 169–174.
Schlagwörter: Militaria, Waffen